„Im Gesundheitswesen werden sich die Dinge radikal ändern!“
Die Digitalisierung bietet enorme Chancen und wird für Patientinnen und Patienten vieles erleichtern – wenn sie so gestaltet wird, dass Menschen und Organisationen dabei mithalten können. Das war der Grundtenor einer Podiumsdiskussion anlässlich der Präsentation von zehn Thesen zur digitalen Gesundheitsrevolution.
Die Vinzenz Gruppe, die elisabethinen linz-wien und die Academia Superior – Gesellschaft für Zukunftsforschung haben in einer Workshop-Reihe unter dem Titel „Behandeln wir die Zukunft“ mit zahlreichen Impulsgebern 2 x 5 Thesen zur digitalen Revolution im Gesundheitswesen entwickelt (mehr dazu lesen Sie hier). Wie wichtig die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist, machte schon der Key-Note-Vortrag bei der Präsentation in Linz deutlich: „Wir müssen uns davon verabschieden, dass die Gesundheitsbranche so bleibt, wie sie ist. Die Dinge werden nicht bloß technisch ein wenig umgemodelt, sie werden sich radikal ändern“, erklärte die Innovationsexpertin Eva Maria Kirchberger, die am Imperial College in London lehrt und forscht.
Neue Technologien, neue Akteure
Ein Roboterarm, mit dem Ärzte per Joystick von jedem Ort der Welt aus Patienten an völlig anderen Orten palpieren und damit Krankheiten diagnostizieren können. Ein Überwachungs-Tool, das aus dem Zittern von Demenzpatienten auf die Sturzgefahr schließt und beim Pflegepersonal Alarm schlägt. Smarte Schuhe für betagte Menschen, die den Bodenkontakt automatisch optimieren und dadurch Stürze vermeiden: An diesen drei Beispielen zeigte die Referentin auf, wie digitale Technologien den medizinischen und pflegerischen Alltag verändern werden. Der Druck auf bestehende Strukturen im Gesundheitssystem werde aber auch vor allem deshalb steigen, weil völlig neue Akteure auftreten: Software, Service und Mobiltechnologien werden vielfach Gebäude, stationäre Geräte und andere Infrastruktur ersetzen.
„Wir müssen uns davon verabschieden, dass die Gesundheitsbranche so bleibt, wie sie ist. Die Dinge werden nicht bloß technisch ein wenig umgemodelt, sie werden sich radikal ändern“, meint Innovationsexpertin Eva Maria Kirchberger.
Das „Spital am Arm“, das rund um die Uhr gesundheitliche Parameter misst, ist nur eine von immer mehr Innovationen, mit denen Technologieunternehmen danach trachten, möglichst viele Gesundheitsdaten von möglichst vielen Benutzerinnen und Benutzern zu erhalten. Ziel sei es, Patienten über den gesamten „Lifecycle“ zu begleiten und gleich mit weiteren Angeboten zu verzahnen – Chats mit Ärzten, passenden Events und einer ganzen Community. Die Datenmuster könnten auch Aufschluss darüber geben, wie hoch das Risiko für künftige Krankheiten ist.

Von links nach rechts: Michael Heinisch (Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe), Christine Haberlander (Landeshauptmann-Stellverteterin), Eva Maria Kirchberger (Innovationsexpertin am Imperial College in London), Raimund Kaplinger (Geschäftsführer der elisabethinen linz-wien)
Das biete Riesenchancen für die Prävention, meint Eva Maria Kirchberger. Zugleich stecken in dieser Entwicklung aber auch Gefahren – etwa die, dass nur noch jene, die es sich leisten können, Zugang zu Ärzten haben werden, während alle anderen auf automatisierte Medizin angewiesen sein könnten. Hier müsse der Staat für Fairness sorgen. Wichtig sei auch, dass Gesundheitsdaten in öffentlicher Hand seien, wie es etwa bei ELGA der Fall sei. „Dass Menschen ihre Daten an private Firmen liefern, lässt sich ohnehin nicht verhindern“, so die Expertin.
Digitalisierung muss allen nützen
Für „ein offenes Herz und einen wachen Verstand“ im Umgang mit der Digitalisierung plädierte Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander. Digitale Technologien könnten helfen, die Gesundheitskompetenz zu stärken. Sie könnten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Zeit für die Arbeit mit den Patienten verschaffen, und sie könnten bei der Diagnose hilfreich sein. Der Ansatz „digital vor ambulant vor stationär“ werde an Bedeutung gewinnen. „Doch in Notsituationen wollen Menschen, dass Menschen für sie da sind und ihnen helfen. Das muss unser System leisten können“, unterstrich Haberlander.
„Der beste Arzt des Menschen ist und bleibt der Mensch. Wir haben die Verantwortung, den Prozess der Digitalisierung unter diesem Gesichtspunkt mitzugestalten“, unterstreicht Michael Heinisch.
Gefordert sei auch das Bildungswesen, um die nötige Medienkompetenz für den richtigen Umgang mit den neuen digitalen Möglichkeiten zu vermitteln. Und es müssten die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den Anwendern Sicherheit zu geben. „Letztlich geht es nicht darum, was Computer und Roboter können, sondern darum, was wir davon wollen“, brachte es die Landeshauptmann-Stellvertreterin auf den Punkt.
Effizienzgewinn in Zeit für Menschen umwandeln
„Die Digitalisierung verändert auch den Gesundheitssektor in zunehmendem Tempo. Aber die Menschen müssen mit diesen Veränderungen mitkommen können“, betonte Raimund Kaplinger, Geschäftsführer der elisabethinen linz-wien. Er ist überzeugt, dass die Entwicklung auch mehr Möglichkeiten für die Patientinnen und Patienten bringen wird, etwa in Form des „digitalen Zwillings“, der für die personalisierte Medizin neue Perspektiven biete. Entscheidend sei aber auch, dass das Plus an Effizienz durch Digitalisierung nicht für weitere Kosteneinsparungen, sondern für mehr Zuwendung genutzt wird: „Wie schaffen wir es, den Effizienzgewinn in Zeit für die Menschen umzuwandeln?“, formulierte Kaplinger.
Näher zu den Patientinnen und Patienten
Digitalisierung wird die Versorgung näher zu den Patientinnen und Patienten rücken: Davon ist Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe, überzeugt. Krankenhäuser werde es auch in Zukunft geben, weil es immer hochakute und komplexe Erkrankungen gebe; immer mehr Krankheiten werden aber außerhalb von Krankenhäusern behandelt werden. „Der best point of service wird immer öfter direkt beim Patienten sein“, so Heinisch. Umso mehr gelte es darauf zu achten, nicht jene von den Chancen der Digitalisierung auszuschließen, die nicht über die nötigen Kenntnisse und entsprechende Infrastruktur verfügen. Vor allem aber gelte es, die Menschlichkeit im Gesundheitswesen zu erhalten: „Der beste Arzt des Menschen ist und bleibt der Mensch. Wir haben die Verantwortung, den Prozess der Digitalisierung unter diesem Gesichtspunkt mitzugestalten“, unterstrich Michael Heinisch.
Text: Josef Haslinger