Zum Stressabbau mal kurz nach Australien
Die Arbeit im Gesundheitswesen ist fordernd und mitunter belastend, umso mehr in Zeiten von Covid-19. Das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried setzt auf Virtual Reality, um Stress zu reduzieren und die Resilienz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken.
Vor Minuten noch mittendrin im herausfordernden Spitalsalltag – und jetzt in einer Bucht in Australien, wo das Meer sanft auf weißen Sand schwappt und pittoreske Felsen in den tiefblauen Himmel ragen, wenn man sich umdreht. Klimafreundlich ist der Kurztrip ans andere Ende der Welt obendrein, denn er findet nur im Kopf statt. Die Strandidylle ist nicht real, sondern digital, generiert von einem leistungsstarken Hyperbook und einer VR-Brille, die täuschend echte, virtuelle Welten im 360-Grad-Modus liefert.
Was nach Freizeitvergnügen für High-Tech-Fans klingt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. „Virtual Reality hilft Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hohe Stressbelastungen abzubauen oder von vornherein zu vermeiden“, sagt Mag.a Isolde Hayder, Arbeits- und Organisationspsychologin am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried. Mit diesem Angebot für all seine rund 1600 Beschäftigten geht das Innviertler Schwerpunktspital neue, innovative Wege in der Gesundheitsprävention.
Mentale Ressourcen positiv regulieren
Das Zauberwort heißt Immersion: So nennt man das Eintauchen in eine virtuelle Szenerie, wenn alle Außenreize ausgeschaltet sind und die Realität ausgeblendet ist. „Für das Gehirn ist man dann nicht mehr Zuschauer, sondern Teil dieser Welt“, erklärt die Psychologin. So kommt es zu einer tiefgreifenden Regulation des mentalen Ressourcennetzwerks: Positives wird aktiviert, zentriert und fokussiert. Die aktuelle persönliche Situation wird neu bewertet, die Aufmerksamkeitsfähigkeit wiederhergestellt.
Nicht jeder entspannt sich an einem australischen Strand am besten. Daher bietet das System auch andere Szenerien, vom Wald bis zur Winterlandschaft. Immer aber sind es Naturwelten, denn die stressmindernde Wirkung von Natur ist in der Psychologie seit vielen Jahren bekannt. Sie führt zu jener ungerichteten, gleichsam mühelosen Aufmerksamkeit, die es braucht, um den gewünschten „attention restoration effect“ zu erzielen.
Professionell begleitete Kurzintervention
„30 Minuten für mich – VR-Entspannung“ nennen Isolde Hayder und Abteilungsleiter MMag. Josef Fellner das Programm, bei dem es sich aus psychologischer Sicht um eine professionell begleitete Kurzintervention im Einzelsetting handelt. Rund zehn Minuten davon wird die VR-Brille getragen; es werden aber auch entspannende Atemtechniken, progressive Muskelentspannungsmethoden und Achtsamkeitsübungen vermittelt. Einige Fragen und ein kurzes Nachgespräch dienen der persönlichen Einschätzung, denn Stress ist immer individuell unterschiedlich.
„Entspannung lässt sich trainieren. Schon eine Sitzung mit dem VR-System hat Wirkung. Das ist für jeden ein echter Wow-Effekt“, betont Isolde Hayder. Sie denkt bereits daran, es künftig mit Biofeedback-Fingersensoren zu kombinieren, die den Entspannungserfolg für die Teilnehmer auch sichtbar machen.
Die Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie ist der Krankenhaus-Geschäftsführung dankbar für das Okay zu diesem neuen, im Spitalsbereich bisher einzigartigen Angebot: „Es ist schön, diese Innovation in unserem Haus umsetzen zu können. Virtual Reality und Augmented Reality werden in Zukunft auch im Gesundheitswesen eine zunehmend größere Rolle spielen, und wir sind von Anfang an dabei und können organisch mitwachsen.“
Unkompliziert, vertraulich und kostenlos
Wer das Angebot in Anspruch nehmen will, kann das unkompliziert, auf Wunsch vertraulich – und kostenlos. Zur Anmeldung genügt ein Anruf oder eine Mail an Josef Fellner oder Isolde Hayder. Termine sind grundsätzlich während den Kernarbeitszeiten möglich, in Ausnahmefällen auch zu anderen Zeiten.
Eines ist freilich auch Isolde Hayder bewusst: „Psychologische Hilfe und Unterstützung sind für viele immer noch ein Tabuthema, auch im Krankenhaus. Vielleicht trägt dieses Tool dazu bei, das zu ändern.“
Text: Josef Haslinger; Foto: BHS Ried / Hirnschrodt