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Gesundheit
Österreich
28.05.2020

Video statt Visite: Auch Spitäler setzen jetzt auf Telemedizin

Der Arztbesuch per App, bisher oft eher distanziert betrachtet, liegt zunehmend im Trend. Die Corona-Pandemie hat auch in diesem Bereich vieles verändert. Nicht nur Online-Gesundheitsplattformen werden jetzt salonfähig, auch erste Krankenhäuser eröffnen digitale Ambulanzen. In der Vinzenz Gruppe ist dieses Angebot kostenlos.

Wer einen Termin in der Internen Ambulanz des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Ried hat, braucht dafür unter bestimmten Umständen schon bald keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen: Das Innviertler Schwerpunktspital ist eines von vier Häusern der Vinzenz Gruppe, die schon bald mit dem Angebot einer digitalen Ambulanz starten. 

Patientinnen und Patienten erhalten einen Termin für diese digitale Ambulanz und werden sich dann zu bestimmten Zeiten über einen Link auf der Spitalshomepage anmelden können. Alles, was sie dazu benötigen, ist ein Handy oder ein Laptop mit Kamera und Mikrophon. Nach einigen Online-Angaben zu Person und Anamnese verbindet sich ein Arzt beziehungsweise eine Ärztin mit ihnen zu einem Video-Chat. Die Patientinnen und Patienten können also bis unmittelbar vor dem Ambulanztermin – und auch wieder sofort danach – ihren gewohnten Tätigkeiten nachgehen.

Nachsorge und Beratung im Fokus

„Wir fangen behutsam an, vor allem in der Nachsorge nach bestimmten Behandlungen und mit Ernährungsberatung“, erklärt Krankenhaus-Geschäftsführer Johann Minihuber. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass das Angebot sukzessive erweitert werden soll – „wenn es die klinische Prüfung besteht und ein Mehrwert zu sehen ist.“

„Wir fangen behutsam an, vor allem in der Nachsorge nach bestimmten Behandlungen und mit Ernährungsberatung“, erklärt Johann Minihuber, Geschäftsführer des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Ried.

Für das Krankenhaus sollte dieser Mehrwert darin bestehen, trotz enormer Ambulanzfrequenzen mehr Zeit zu gewinnen, vor allem für komplexere Beratungen und Behandlungen. So lassen sich Ressourcen besser nutzen. Patientinnen und Patienten wiederum, insbesondere onkologische und immungeschwächte, könnten von einem raschen und niederschwelligen Zugang zu medizinischer Beratung profitieren und sich dabei mitunter weite Wege ersparen.

Eine Umfrage unter den Abteilungsleitern im Krankenhaus BHS Ried habe äußerst großes Interesse an dieser Innovation ergeben, berichtet Minihuber: Die Primarärzte sehen bei bestimmten Leistungen großes Digital-Potenzial. Für die Verrechnung der telemedizinischen Konsultationen habe man „auf kurzem Weg unbürokratische Lösungen“ gefunden. Wichtig für die Patienten: für sie ist dieses Angebot kostenlos. Um die Umsetzung der digitalen Prozesse kümmern sich in Ried erfahrene Mitarbeiter unter der Leitung von Margit Matheis. Auch am Ordensklinikum Linz und in zwei Wiener Häusern der Vinzenz Gruppe werden derzeit digitale Ambulanzen geplant beziehungsweise realisiert.

Corona als „positiver Brandbeschleuniger“

Die COVID-19-Pandemie mit „Social Distancing“ und Zugangsbeschränkungen in Krankenhäusern bedeute für telemedizinische Projekte zweifellos einen starken Anschub, so Minihuber. Dietmar Bayer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin, spricht sogar von einem „positiven Brandbeschleuniger hin zu einer modernen Medizin“.

Tatsächlich ist vor allem bei der Telekonsultation – gemeint ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, sozusagen die virtuelle Sprechstunde – einiges in Bewegung geraten. Die Akteure sind jedoch meist keine Gesundheitseinrichtungen, sondern private Unternehmen. Mittlerweile bieten auch in Österreich bereits mehrere Online-Plattformen wie drd, Lilo Health und Teledoc Video-Gespräche mit Medizinerinnen und Medizinern an. Durch die Unterstützung von Versicherungen und anderen Unternehmen sind diese Angebote teilweise kostenlos, zumindest derzeit noch.

In Deutschland und besonders in der Schweiz, wo telefonische Behandlungen schon seit vielen Jahren üblich sind, haben sich große Anbieter etabliert, wie Medgate (CH) oder Teleclinic (D). Bei letzterem stehen rund 250 Ärztinnen und Ärzte mit eigenen Praxen für stundenweise Dienste unter Vertrag. Das Unternehmen offeriert sein Angebot rund um die Uhr und wirbt damit, dass es bis zum Kontakt mit einem Facharzt nicht länger als 30 Minuten dauert.

Das wirtschaftliche Potenzial der Branche in Zeiten von Corona zeigt sich an großen Playern wie Teladoc Health: Die Nummer 1 in den USA verzeichnet aktuell rund 20.000 digitale Arztbesuche täglich – doppelt so viele wie noch im März. Der Aktienkurs des börsennotierten Unternehmens hat sich in den vergangenen drei Jahren versechsfacht. Auch „Zulieferer“ boomen: Der deutsche Software-Anbieter Compugroup verzeichnete allein in den vergangenen acht Wochen ein Kursplus von 50 Prozent.

Lukrativ könnte die „Medizin aus der Ferne“ nach Einschätzung von Experten aber nicht nur für einzelne Anbieter, sondern auch volkswirtschaftlich sein. So geht etwa das Wirtschaftsberatungsunternehmen KPMG davon aus, dass bei einem flächendeckenden Einsatz von Telemedizin mit einer Entlastung des gesamten Gesundheitssystems zu rechnen wäre. Ein weiteres Argument dafür, dass sich auch Spitalsträger aktiv mit diesem Thema auseinandersetzen.

Trend zur Telemedizin wird noch stärker werden

Dass sich der Trend zur Telemedizin in der Zeit „nach Corona“ wieder abschwächen oder gar umkehren könnte, halten Fachleute für wenig wahrscheinlich. Alles spricht dafür, dass ihre Bedeutung weiter zunehmen wird – auch vor dem Szenario eines nahenden Ärzte- und vor allem Hausärztemangels: Rund 30 Prozent aller niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner in Österreich sind älter als 55 Jahre.

Gerade für die „Lotsenfunktion“, eine Domäne der Hausärzte, könnte die Telekonsultation in gewissem Ausmaß hilfreich sein: Auch, wenn sich viele Diagnosen naturgemäß nicht per Video-Chat stellen lassen, so reicht es doch oft für eine erste Einschätzung der Symptome und den Rat, welcher Facharzt anschließend am besten aufgesucht werden sollte.

Neben der „virtuellen Sprechstunde“, die derzeit meist gemeint ist, wenn von Telemedizin die Rede ist, bieten neue Informations- und Kommunikationstechnologien allerdings noch viele weitere Möglichkeiten. Telemonitoring etwa, mit dem sich zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen wichtige Gesundheitsparameter aus der Ferne überwachen lassen.

Nicht zuletzt tun sich auch in der Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsdienstleistern neue Möglichkeiten auf: Mittels Telekonzil und Telekonferenz wird Spitzenexpertise ortsunabhängig verfügbar.

„Auch im Kontakt mit unseren Zuweisern könnte die Digitalisierung interessante neue Impulse bringen“, ergänzt Minihuber. Er geht davon aus, dass Telemedizin im Spital unabhängig von der aktuellen Corona-Situation künftig verstärkt eingesetzt wird: „Wir in Ried sind jedenfalls sehr interessiert daran, uns auch auf diesem Gebiet weiterzuentwickeln“.

Text: Josef Haslinger, Bild: depositphotos.com

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