Gemeinsam gegen Einsamkeit
Manchmal schleicht sich Einsamkeit leise und unerwartet in unser Leben. Ein einzelner Gedanke oder das Gefühl, nicht verstanden zu werden, kann ausreichen, um sie hervorzurufen. Bleibt sie langfristig unbeachtet, kann sie zu einer wachsenden Belastung für die Gesundheit werden. INGO sprach mit Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutierrez-Lobos, Co-Gründerin der „Plattform gegen Einsamkeit“, über mögliche Wege, dieser stillen Herausforderung nicht allein begegnen zu müssen.
Noch nie war die Welt so vernetzt wie heute – ein Klick, und wir sind mit Menschen überall auf dem Globus verbunden. Trotzdem steigt das Gefühl der Einsamkeit rasant an. Wie passt das zusammen? „Einsamkeit ist ein vielschichtiges und komplexes Thema“, erklärt Karin Gutierrez-Lobos, Ao. Univ.-Prof.in an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien. „Entgegen der weit verbreiteten Annahme betrifft sie nicht nur ältere Menschen. EU-Studien zeigen sogar, dass vor allem junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren besonders stark darunter leiden.“ Die Ursachen dafür seien vielfältig. Neben Krankheit, Behinderung und Armut spielten auch soziale Ausgeschlossenheit wie Mobbing eine Rolle. „Zwar treten einige dieser Faktoren, wie chronische Erkrankungen oder Behinderungen, im Alter häufiger auf, doch die Pandemie hat gezeigt, dass gerade junge Menschen stark unter sozialer Isolation gelitten haben, denn gerade in der Adoleszenz spielen Freunde und Gleichaltrige eine zentrale Rolle.“ Fehlten diese Kontakte – sei es durch äußere Umstände oder Ausgrenzung – könne dies besonders schwer wiegen. „Junge Menschen haben oft noch nicht die Lebenserfahrung, um solche Herausforderungen zu bewältigen, und geraten somit leichter in Isolation“, erläutert Gutierrez-Lobos. Häufig bliebe ihnen dann nur die digitale Welt, die zwar eine Verbindung ermögliche, aber den direkten, persönlichen Austausch niemals ersetzen könne.
Wenn die Seele krank wird
„Einsamkeit ist, wie jede Emotion, ein wichtiges Signal“, sagt Gutierrez-Lobos. Wird dieses Signal über längere Zeit ignoriert, können die Folgen gravierend sein. Das Risiko für Depressionen, Nervosität, Unsicherheit und Angst bis hin zu Panikattacken steigt. Der psychische Dauerstress kann zudem körperliche Erkrankungen wie Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Probleme begünstigen. Wenn Einsamkeit chronisch wird, entwickelt sich ein Teufelskreis: „Menschen werden misstrauischer gegenüber sozialen Kontakten, bewerten diese strenger und empfinden soziale Interaktionen oft als belastend. Je länger die Einsamkeit anhält, desto schwieriger wird es, wieder Anschluss zu finden.“
Einsamkeit ist längst ein gesellschaftlich relevantes Thema. Großbritannien übernahm 2018 eine Vorreiterrolle, indem es als erstes Land weltweit ein „Ministerium für Einsamkeit“ ins Leben rief, um Menschen aus Isolation und Anonymität zu holen. Länder wie Japan und Deutschland schlossen sich diesem Beispiel an, und auch in Österreich werden zunehmend Maßnahmen ergriffen: Seit 2021 gibt es hier die Plattform gegen Einsamkeit, die vom Gesundheits- und Sozialministerium unterstützt wird und als nationale Koordinations- und Kompetenzstelle fungiert. „Wir wollen Menschen zeigen, dass sie mit Einsamkeit nicht allein sind – und dass es Wege gibt, wieder Teil einer Gemeinschaft zu werden“, so Mitgründerin Gutierrez-Lobos. „Es gibt viele Initiativen gegen Einsamkeit, aber kaum jemand weiß davon. Unsere Plattform ermöglicht Betroffenen den Zugang zu passenden Angeboten. Wir bieten unter anderem Mitmach-Formate in Nachbarschaften und unterstützen Betroffene dabei, den ersten Schritt aus der Einsamkeit zu machen.“ Dabei sei es wichtig, die Betroffenen in die Entwicklung und Umsetzung dieser Angebote einzubinden. „Wir möchten nicht über sie hinweg entscheiden, sondern gemeinsam mit ihnen Angebote schaffen, die ihren Bedürfnissen entsprechen.“ So würden niedrigschwellige Initiativen wie gemeinsames Spazierengehen oder lokale Aktivitäten es Menschen erleichtern, wieder soziale Kontakte zu knüpfen.
Einsamkeit betrifft viele Bereiche
„Einsamkeit ist ein Querschnittsthema, das viele Lebensbereiche umfasst“, erklärt Gutierrez-Lobos. „Es geht nicht nur um Maßnahmen im Gesundheitssystem, wo ein besseres Verständnis dafür erforderlich ist, Einsamkeit frühzeitig zu erkennen und Betroffene gezielt weiterzuvermitteln, sondern auch um Themen wie Stadtplanung und die Verbesserung der Mobilität in ländlichen Regionen.“ Auch die Kinderbetreuung stehe im Fokus: „Sie fördert nicht nur die sozialen Kompetenzen der Kinder, sondern bietet Alleinerziehenden die Möglichkeit, wertvolle Kontakte zu knüpfen.“ Darüber hinaus hält Gutierrez-Lobos präventive Maßnahmen in verschiedenen Bereichen für unverzichtbar. „Bereits vor der Pensionierung könnten Programme helfen, soziale Netzwerke aufzubauen und zu stärken.“ Die Pandemie habe besonders deutlich gezeigt, wie wichtig solche Strategien sind: „Wir waren völlig unvorbereitet, Menschen in sozialer Isolation zu unterstützen.“ Es sei daher entscheidend, rechtzeitig Konzepte zu entwickeln, die dabei helfen, besser auf soziale Krisensituationen zu reagieren und Menschen nicht allein zu lassen.
Text: Rosi Dorudi
Foto: privat
Zur Person
Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos war Ao. Universitätsprofessorin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien. Ihre berufliche Laufbahn umfasst leitende Positionen, darunter als Vizerektorin der MedUni Wien (2007–2015) und ärztliche Direktorin der Klinik Landstraße (2017–2019). 19 Jahre lang war sie „Radiodoktorin“ auf Ö1/ORF. Derzeit leitet sie eine Kommission zur präventiven Menschenrechtskontrolle in der Volksanwaltschaft. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Sozialpsychiatrie, forensische Psychiatrie sowie geschlechtsspezifische Aspekte in der Medizin. Für ihre Leistungen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Käthe-Leichter-Lebenswerkpreis (2020) und das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (2016).