„Ich lasse Kinder so sein, wie sie sind“
Seit Februar 2024 haben die Gesundheitsparks der Vinzenz Gruppe einen neuen Experten in ihren Reihen: Markus Pisecker hat sich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit ADHS und Autismus verschrieben. Beim Klettern und in der Natur bringt er ihnen einiges bei. Und nicht nur ihnen …
Vielfalt & Kreativität. Kompetenz, Authentizität & Integrität. Offenheit, Ehrlichkeit & Fairness. Und Humor. Das sind jene Werte, die Markus Pisecker auf seiner Website www.mut4u.at als die Grundlage seiner Arbeit angibt. Als seine Grundlage. Seit 2016 ist der gebürtige Wiener selbständig – als Erlebnispädagoge, Lebens- und Sozialberater, Risikobegleiter. Und als Kletterlehrer. Als solcher bietet er „Neuroklettern“ unter anderem für Menschen im Autismusspektrum sowie für Kinder und Jugendliche mit ADHS an.
Neuroklettern – was steckt hinter diesem Begriff?
Markus Pisecker: Im weitesten Sinne handelt es sich um erlebnispädagogisches Klettern von Menschen mit einer neurologischen Erkrankung. Ich arbeite einerseits mit eher älteren Altersgruppen mit Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder Status post Insult, also nach einem Schlaganfall. Mein Schwerpunkt liegt aber auf dem Klettern mit Kindern und Jugendlichen mit ADHS und Autismus. Wobei sich meine Arbeit nicht auf diese Diagnosen beschränkt, sie umfasst auch Jugendliche mit Cerebralparese oder einer Einschränkung aufgrund einer Frühgeburt.
Dass man durch Klettern bei körperlichen Einschränkungen Fortschritte erzielen kann, scheint auf der Hand zu liegen. Warum aber auch bei jenen neurologischen Beeinträchtigungen, bei denen die körperliche Beeinträchtigung nicht im Vordergrund steht?
Da ist erstens die Konzentration, die ich beim Klettern brauche. Und die Fokussierung. Außerdem Impulskontrolle: Wenn ich eine Route nicht schaffe, oder eine Route klettern möchte, die gerade besetzt ist, kann ich zu einem Punkt kommen, an dem ich mich ärgere. Oder im Extremfall sogar aufgebe. Da brauche ich die Impulskontrolle. Und: Beim Klettern ist nicht zuletzt auch ein sozialer Aspekt dabei.
Wie ist Ihre Arbeitsweise mit Kindern und Jugendlichen?
Ich lasse sie so sein, wie sie sind. Natürlich stehe ich hinter ihnen oder im Fall der Fälle auch vor ihnen, wenn es zu einem Konflikt kommen sollte. Aber sie sollen bei mir die Möglichkeit haben, dadurch, dass sie so sind, wie sie sind, zu lernen, dass jede Aktion eine Reaktion im Umfeld auslöst. Wenn sich ein Kind in der Wand ärgert und dann schimpft oder gegen die Wand tritt, dann darf es das bei mir machen – solange dabei niemand verletzt oder nichts kaputt gemacht wird. Gleichzeitig wird es dabei eine Reaktion hervorrufen. Es kann durchaus sein, dass sich irgendjemand umdreht und sagt: „He, was ist denn mit dir, reiß dich zusammen!“
Also wie im wirklichen Leben außerhalb der Kletterhalle?
Genau, so wie im wirklichen Leben. Nur im geschützten Rahmen, weil ja ich da bin. Dabei geht es nicht darum, dass Menschen mit ADHS oder Autismus nichts „dafürkönnen“, dass sie sind, wie sie sind, und dass das Umfeld einfach damit leben muss. Nein, es geht darum, gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Sagen zu können: Ich verstehe, dass dich stört, wenn der neben dir herumbrüllt. Aber bitte versteh du, dass er das nicht macht, um dich zu ärgern, sondern weil er jetzt gerade nicht aus seiner Haut kann. Wir können weder die Gesellschaft so ändern, dass alle vollstes Verständnis für Menschen mit ADHS oder Autismus haben. Wir können aber genauso wenig Menschen mit ADHS und Autismus so umdrehen, dass sie sich so nahtlos in unsere Gesellschaft einfügen, wie das die Mehrheit vielleicht will. Wir müssen aber aufeinander zugehen, weil wir Menschen eben vielfältig sind.
Ihr Angebot umfasst auch Schulungen der sozialen Kompetenz. Was verstehen Sie darunter?
In meinem Verständnis geht es bei sozialer Kompetenz darum, in einer zwischenmenschlichen Interaktion so agieren zu können, dass sowohl mein Interaktionspartner oder meine -partnerin als auch ich aus dieser Situation zufrieden rausgehen. Dass wir beide einen Gewinn daraus ziehen, weil wir das Gefühl haben, gut miteinander kommuniziert zu haben und nicht übervorteilt worden zu sein. Ein Schlüsselaspekt dabei ist sicher Respekt. Der äußert sich nämlich nicht darin, dass ich jemanden, nur weil er beispielsweise Anzug und Krawatte trägt, mit Sie anspreche. Denn trotzdem kann ich ihm gegenüber respektlos agieren.
Wie kann man die soziale Kompetenz, also diesen Respekt, lernen?
Auch hier ist mein Zugang der gleiche wie beim Klettern: Das Schlüsselelement ist gegenseitiges Verständnis. Wenn ich zumindest versuche, mein Gegenüber und dessen Motivation zu verstehen, dann werde ich auch besser verstehen können, warum sich die Person jetzt so verhält.
Ist ein Konsens bei Konflikten also immer möglich?
Ja, in so gut wie allen Fällen. Ich muss einfach tief genug in die Motivation gehen. Es gibt da dieses Beispiel: Zwei Kinder streiten um eine Orange. Fragt man beide Kinder nur „Was willst du?“, dann sagen beide „Die Orange!“. Teilt man dann die Orange, entsteht ein Kompromiss, aber da beide die ganze Orange wollen, gehen beide eigentlich unzufrieden aus der Situation. Wenn ich aber tiefer nachfrage, sagt das eine Kind, es möchte Orangensaft trinken, und das andere, es will einen Kuchen backen und braucht dafür nur die Orangenschale. Und schon habe ich meinen Konsens. Es ist nur ein Beispiel, aber wenn ich immer tiefer frage, komme ich irgendwann an einen Punkt, wo ich alle Interessen entsprechend berücksichtigen kann. Und an dem dann alle zufrieden rausgehen.
"Respekt bedeutet nicht, Menschen mit Anzug und Krawatte zu siezen", sagt Markus Pisecker.
Welche Angebote sind noch in Ihrem Portfolio?
Ich biete auch Beratung für die Eltern von Kindern mit ADHS oder Autismus an, weil ich glaube, dass man da einfach im Umfeld ebenso viel Einfluss nehmen kann. In meinem Portfolio sind außerdem diverse Outdoor-Aktivitäten, vom Survival- bis zum Business-Training sowie erlebnispädagogische Angebote mit starker Naturbezogenheit – wiederum mit dem Schwerpunkt ADHS und Autismus. Dazu kommen Teambuilding-Trainings für alle Arten von Gruppen; von Schulklassen über Lehrlingsgruppen bis zu Firmen. Das beinhaltet erlebnispädagogische und gruppendynamische Elemente, ist praxisorientiert und findet auch, wenn möglich, outdoor statt. Ich habe jüngst auch die Risflecting-Ausbildung abgeschlossen und biete seither in Teambuildings zusätzlich den Aspekt der Integration suchtkranker Personen in den Arbeitsalltag an.
Welche Ausbildung haben Sie noch?
Ich habe eine Kletterausbildung, ich bin Erlebnispädagoge, Lebens- und Sozialberater, Instruktor Mountainbike und Radtouren, Instruktor Sportklettern. Außerdem Wildnistrainer. Als nächstes kommen noch die Ausbildungen in Talent- und Motivationsanalyse und Process Communication Model. Ah, genau: Vor einiger Zeit habe ich das Studium der Lebensmittel- und Biotechnologie an der BOKU abgeschlossen. Ich bin also Diplomingenieur. Ich glaube, das war es im Großen und Ganzen (lacht).
Zudem sind Sie Experte im Gesundheitspark Göttlicher Heiland. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Der Gesundheitspark Göttlicher Heiland ist ein sehr interessantes lokales Netzwerk, das wiederum österreichweit in ein noch größeres Gesundheitspark-Netzwerk integriert ist. Es werden fast alle medizinischen und therapeutischen Disziplinen abgedeckt. Ich profitiere so wie alle anderen Expertinnen und Experten von diesem Netzwerk. Und auch von der Unterstützung im Online- und Social-Media-Bereich. Und: Das Krankenhaus Göttlicher Heiland ist Partner im Gesundheitspark-Netzwerk und zugleich jenes Krankenhaus, indem ich geboren wurde, das passt doch perfekt.
Interview: Michi Reichelt; Fotos: © Markus Pisecker / www.mut4ut.at
Mit Ende März starten die Gesundheitsparks ihre neue Jahres-Serie „Gesund aufwachsen“. Den ersten Artikel zu dieser Reihe, bei der auch Markus Pisecker mitgewirkt hat, können Sie hier lesen:https://www.gesundheitspark.at/magazin/kinder-brauchen-bewegung-und-aktive-eltern

Markus Pisecker, DI
Lebens- und Sozialberater, Erlebnispädagoge, Risikobegleiter nach Risflecting®
1979 im Krankenhaus Göttlicher Heiland geboren, hat sich der studierte Lebensmittel- und Biotechnologe nach fünf Jahren in der St. Anna Kinderkrebsforschung der Arbeit mit Menschen mit ADHS oder Autismus verschrieben. Als ausgebildeter Kletterlehrer und Erlebnispädagoge bietet er neben Coaching und Outdoor-Aktivitäten auch „Neuroklettern“, insbesondere für Kinder und Jugendliche, an. Seit Februar 2024 ist Pisecker zudem Partner im Gesundheitspark Göttlicher Heiland - einem von sieben Gesundheitsparks der Vinzenz Gruppe:
https://www.gesundheitspark.at/experten/di-markus-pisecker