"Wir müssen unseren Lebensstil ändern"
Sie ist Philosophin, Bestseller-Autorin von Ratgebern und Ordensfrau bei den Salvatorianerinnen. Zum erfolgreichen Start ihres Podcasts „ganz.schön.mutig“ spricht Melanie Wolfers im Interview über menschliche Krisen, die Kunst der Selbstliebe und die Krux der ständigen Selbst-Optimierung.
„Die wichtigste Beziehung, die wir als Mensch führen, ist die mit uns selbst“, sagt Melanie Wolfers in ihrer fünften Podcast-Folge zum Thema „Wie entthronen wir den inneren Kritiker?“. Das Thema wird über Fragen erschlossen, die ihr der preisgekrönte Radiojournalist Andreas Bormann stellt. In ihrem Podcast „ganz.schön.mutig“ spürt die Autorin und Philosophin genau jenen Fragen nach, die uns in unserer westlichen Gesellschaft am meisten zu schaffen machen.
Nach Erfolgstiteln wie „Trau dich, es ist dein Leben: Die Kunst, mutig zu sein“ hat Wolfers nun das Internet und damit auch die jüngere Zielgruppe im Visier. Die 14-tägige Online-Sendereihe fällt unter das Genre Selbsthilfe und Mental Health, wo sie sich seit Juli in den entsprechenden Charts bewegt. Sie kann kostenlos auf allen Podcast-Apps und auf der Homepage www.melaniewolfers.de angehört werden.
Als Bestsellerautorin von Ratgebern, Keynote-Speakerin und Herausgeberin eines Podcasts sind Sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Gleichzeitig sind Sie Ordensfrau der Salvatorianerinnen. Wie geht das zusammen?
Melanie Wolfers: Das geht bestens zusammen. Es gehört zum Markenzeichen von uns Salvatorianerinnen, dass wir uns auf ganz unterschiedliche Weise für das Leben von Menschen einsetzen, und dass wir die therapeutisch-befreiende Kraft christlicher Spiritualität ins Spiel bringen. Wir möchten Menschen dazu inspirieren, ein Leben zu führen, das zu ihnen passt – verbunden mit anderen und mit dem göttlichen Geheimnis des Lebens.
Worin liegt denn das göttliche Geheimnis des Lebens?
Jeder Mensch ist innerlich sehr viel reicher, als er ahnt. In einem rein materialistischen Weltbild leben wir sehr im Vordergründigen und sehen nicht die Verbundenheit von allem. Das merkt man jetzt zum Beispiel in der Klimakrise. In einer spirituellen Weltsicht kann man erahnen, dass man Teil eines großen Ganzen ist. Und dieses große Ganze ist aus biblischer Sicht ein liebender Zusammenhang.
Sie sprechen in Ihren Büchern und Podcasts Themen an, die wir alle in unserer Leistungsgesellschaft nur zu gut kennen. Dabei ist Ihr Ansatz eher psychologisch als christlich. Warum?
Ich habe überlegt, wie kann ich Worte finden für das, was uns alle innerlich angeht. Das kann ich nicht, wenn ich im Kirchenjargon spreche. Das ist zu fromm, da schalten die Leute wieder ab. Ich kann nur von christlicher Spiritualität sprechen, wenn ich vom normalen menschlichen Leben spreche. Vom Gelingen und Scheitern, von Liebe und Unglück. So wie Jesus viele Alltagsgeschichten erzählt hat, geht es darum, die Geschichten von heute aufzugreifen. Und die Resonanz, die ich mit meiner Arbeit erfahre, zeigt, dass genau an diesem Punkt Bedarf besteht.
Der Thematik ihrer Bücher und Sendungen nach zu urteilen haben wir heute in erster Linie ein Problem mit uns selbst. Hat dies auch mit dem Bedeutungsverlust des Glaubens in unserer westlichen Gesellschaft zu tun?
In der westlichen Welt leiden wir an einem Gefühl des Mangels. ‚Ich genüge nicht‘ ist unsere innere Überzeugung, wenn wir uns ständig selbst optimieren müssen. Es herrscht ein Gefühl von Vereinzelung und Unverbundenheit. Wir sind nicht mehr verbunden mit unserem Ursprung, mit dem tiefen Heilsein im Menschen.
"Die vielen gesellschaftlichen und globalen Krisen unserer Zeit sind in der Tiefe auch eine spirituelle Krise. Und diese Probleme sind heute lebensbedrohlich geworden."
Die vielen gesellschaftlichen und globalen Krisen unserer Zeit sind in der Tiefe auch eine spirituelle Krise. Und diese Probleme sind heute lebensbedrohlich geworden. Abgesehen von einer noch nicht überwundenen Pandemie stecken wir auch mitten in einer Klimakatastrophe. Wir müssen unser Lebensmodell des Wachstums überdenken, dieses ständige ‚höher, schneller, weiter‘. Das ist eine Notwendigkeit. Wenn wir jetzt nicht unseren Lebensstil ändern, dann ändert sich alles, und zwar nicht zum Besseren.
Wie wichtig ist eine gute Beziehung zu sich selbst für die eigene Gesundhei
Diese Beziehung ist sehr zentral für unsere Gesundheit. Das fängt schon an beim Umgang mit dem eigenen Körper. Der Körper ist ein genialer Seismograf, der uns warnt, wenn wir uns überfordern. Eine gute Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper hat etwas mit Selbstachtung zu tun. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Körper und Geist. Eine schwerwiegende Krankheit kann die Seele verletzen und umgekehrt.
Das Bewusstsein um diese Wechselwirkung zwischen Körper und Geist ist in unserer Gesellschaft nicht sehr ausgeprägt. Warum?
Unser Ohr fürs Außen ist sehr groß, das Ohr fürs Innere ist dagegen häufig nicht sehr ausgeprägt. Dabei ist es sehr wichtig, sich zu fragen: Wie geht es mir? Was brauche ich? Die Achtsamkeitskultur versucht da gegenzusteuern. Aber wo lernen Kinder und Jugendliche eine gute Selbstwahrnehmung und einen wohlwollenden Umgang mit sich selbst? Leider wird der Bildungsauftrag der Schulen immer mehr von den Erfordernissen einer globalen Wettbewerbsgesellschaft geprägt und eine ganzheitliche Bildung kommt unter die Räder.
Was unterscheidet Ihren von anderen Selbsthilfe-Podcasts im Netz?
Im Hinblick auf mein Studium der Philosophie und der Theologie sind meine Podcasts wissenschaftlich fundiert. Als Seelsorgerin bringe ich viel Erfahrung im Umgang mit Lebensfragen mit, und ich beleuchte diese immer auch im Licht christlicher Spiritualität. Man nimmt mir ab, dass ich weiß, wovon ich spreche. Dabei gebe ich keine sieben Tipps zum Glück, sondern unterstütze Menschen darin, ihre Antworten zu finden auf die Fragen, die das Leben stellt. Viele sagen, ich bin eine Mutmacherin.
Als erfolgreiche Buchautorin und Publizistin sind Sie auch eine Art Leitfigur. Wie verträgt sich das mit dem Rollenbild der Frau in der katholischen Kirche?
Natürlich leide ich am institutionellen Ort der Frau in der Kirche. Die fehlende Gleichberechtigung ist fatal, denn sie untergräbt die Glaubwürdigkeit des Glaubens. Dabei stehen an der Wiege des Christentums Frauen! Denken Sie etwa an Maria von Magdala, die am Ostermorgen den zweifelnden Männern die Botschaft von der Auferstehung verkünden soll. Oder was wenig bekannt ist: Die katholische Kirche führte ein, dass das freie Ja der Frau eine Voraussetzung für eine gültige Eheschließung ist und wurde damit in der europäischen Rechtsgeschichte zum Trendsetter in Sachen Emanzipation der Frau. Doch dann ist der Karren leider steckengeblieben. Mir wird oft gesagt, dass ich ein Frauenbild repräsentiere, das eine Art Role Model für Frauen in der Kirche ist. Und das erleben viele – Frauen und Männer – als Ermutigung.
Interview: Gertraud Gerst; Fotos: Andreas Jakwerth, Ulrik Hölzel

Melanie Wolfers, Dr. theol., Mag. phil.
Ordensfrau, Philosophin & Bestseller-Autorin
Nach ihrem Studium der Theologie und Philosophie in Freiburg und München arbeitete Wolfers als Hochschulseelsorgerin an der Universität München. 2004 trat sie in die Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen in Österreich ein. Sie ist Keynote-Speakerin und eine der bekanntesten christlichen Autorinnen im deutschsprachigen Raum. Seit Juni 2021 betreibt sie den Podcast „ganz.schön.mutig“.