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Österreich
17.09.2019

Gerüstet für das große Jucken

Bereits jeder Fünfte leidet unter chronischem Juckreiz, Tendenz steigend. Dermatologe Norbert Sepp vom Ordensklinikum Linz Elisabethinen will dieser Entwicklung Rechnung tragen und für Betroffene eine Lobby schaffen.

Wen juckt’s? Eine lapidare Frage, auf die man in der Medizin antwortet: Sehr viele! Laut einer Befragung der Universitätsklinik Münster leiden 17 Prozent der Deutschen unter chronischem Juckreiz, in Österreich sieht es vermutlich nicht viel anders aus. Chronisch nennt ihn der Dermatologe dann, wenn er mindestens sechs Wochen andauert. Aber was passiert bei einem Juckreiz eigentlich genau?

Der Juckreiz-Mechanismus

Pruritus, so der medizinische Fachbegriff, ist ein Signal, das bestimmte Nervenzell-Enden über speziell dafür vorgesehene Nervenleitbahnen an die Großhirnrinde melden. Auf die Meldung „Juckreiz“ schickt das Gehirn einen Kratzbefehl an die Hände. Durch das Kratzen entstehen Schmerzreize, die das Jucken überdecken. Allerdings nur kurzfristig, denn durch den Schmerz werden chemische Botenstoffe wie Histamin freigesetzt, die den Juckreiz weiter verstärken können.

Es entsteht ein Teufelskreis, der Betroffenen das Leben zur Hölle machen kann. Hinzu kommt, dass Juckreiz – ähnlich wie Schmerz – mit dem Gedächtnis verknüpft ist. Das bedeutet, dass Personen mit chronischem Pruritus einen Juckreiz bereits ab einer viel niedrigeren Schwelle wahrnehmen. Allerdings sind die Mechanismen, die sich in der Haut und im Nervensystem abspielen, noch lange nicht ausreichend erforscht.

„Schmerzpatienten haben eine Lobby, Juckreizpatienten nicht“, meint Norbert Sepp, Leiter der Dermatologischen Abteilung am Ordensklinikum Linz Elisabethinen.

„Die Dermatologie hat sich erst in den letzten zwanzig Jahren mit Juckreiz beschäftigt“, sagt Dermatologe Norbert Sepp vom Ordensklinikum Linz Elisabethinen. Bis in die späten 1990-er Jahre hielt sich in der Wissenschaft die These, Jucken sei nichts Anderes als ein unterschwelliger Schmerz. Eine Auffassung, die längst widerlegt ist.

Chronischer Juckreiz im Vormarsch

Der Primar der Dermatologischen Abteilung hat sich des Themas angenommen und sieht sowohl in der Forschung als auch in der Aufklärung großen Aufholbedarf, denn: „Der chronische Juckreiz ist ganz klar im Vormarsch.“ Ein Grund dafür liegt in der Alterung der Bevölkerung.

„Mozart ist mit 35 Jahren gestorben. Im Jahr 2050 wird über eine Million der Österreicherinnen und Österreicher über 80 sein, da wird’s einen Großteil jucken“, prophezeit Sepp und spricht damit die mit dem Alter einhergehende Trockenheit der Haut an. Mit einer Überalterung der Bevölkerung wird auch der Medikamentenkonsum steigen, der ebenfalls Juckreiz auslösen kann.

Der Ursprung des Juckens liegt oft im Verborgenen. Abgesehen von Neurodermitis, Schuppenflechte und Allergien kann der chronische Juckreiz auch ein Hinweis auf Leber-, Nieren und Gallenwegserkrankungen sein. Auch bei neurologischen und psychischen Erkrankungen kann die Symptomatik auftauchen. Die Abklärung der Ursache kann mitunter Jahre dauern, in manchen Fällen bleibt die Diagnostik ergebnislos. Ein langer Leidensweg für Patienten ist die Folge.

Eine Lobby für Juckreizpatienten

„Dem Juckreiz wird in der Medizin oft nicht die Aufmerksamkeit gegeben, die eigentlich notwendig wäre“, räumt Sepp ein und vergleicht: „Schmerzpatienten haben eine Lobby, Juckreizpatienten nicht.“ Doch das will der umtriebige Mediziner mit einer Reihe von Maßnahmen ändern. Im Jahr 2020 soll es eine Fortbildung zum Thema Juckreiz für Allgemeinmediziner geben. Gemeinsam mit seinem Team arbeitet der Dermatologe außerdem an einer Studie, bei der moderne Medikamente zur Juckreizbekämpfung, wie Neurochininrezeptor-Antagonisten, vor der offiziellen Zulassung getestet werden.

In enger Verbindung mit den internationalen Zentren zur Juckreiz-Grundlagenforschung sollen künftig Forschungsergebnisse möglichst schnell in den Klinikalltag einfließen. „Mein großes Anliegen ist es“, so Sepp, „die Versorgung der Juckreiz-Patienten nachhaltig zu verbessern. Am besten für die Betroffenen wäre eine eigene Juckreiz-Ambulanz.“

Text: Gertraud Gerst; Bild: pixabay.com

Norbert Sepp, Prim. Univ.-Prof. Dr.

Vorstand der Abteilung Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Ordensklinikums Linz Elisabethinen

Nach Abschluss des Medizinstudiums in Innsbruck 1986 begann Sepp die Facharztausbildung an der Universitätsklinik Innsbruck für Dermatologie und Venerologie. Von 1995 bis 2009 war er geschäftsführender Oberarzt und Stellvertreter des Klinikdirektors an der Universitätsklinik für Dermatologie in Innsbruck. Von 2004 bis 2011 leitete er die Österreichische Akademie Dermatologischer Fortbildung (ÖADF), war mitverantwortlich für die gesamte Fortbildung der österreichischen Hautärzte sowie der Facharztprüfung für Dermatologie. Seit Oktober 2016 leitet er die Dermatologische Abteilung am Ordensklinikum Linz Elisabethinen. Er verfasste über 140 wissenschaftliche Publikationen und zusätzlich 42 Buchbeiträge. Sepp ist verheiratet, Vater von zwei verheirateten Töchtern und Opa von drei Enkeln.

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