Beherzte Entscheidungen
Als in den 80er-Jahren in Deutschland die weltweit erste Hochfrequenzablation durchgeführt wurde, begann eine neue Ära in der Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Unter den Ersten, die sich dafür interessierten, waren Kardiologen des Ordensklinikums Linz. Josef Aichinger erzählt, wie er und seine Kollegen damals nach Münster zu den Pionieren dieser Technik fuhren und in der Folge in Linz eines der führenden österreichischen Zentren für die Elektrophysiologie des Herzens aufbauten.
Der Kardiologe Josef Aichinger weiß noch gut, was alles nicht möglich war, als er vor über dreißig Jahren in seinem Beruf anfing. „Tachykardien zum Beispiel, also krankhaftes Herzrasen, konnte man früher nur medikamentös unterdrücken, aber nicht beseitigen“, veranschaulicht er. Aichinger ist Vorstand der Abteilung Interne 2 für Kardiologie, Angiologie und interne Intensivmedizin am Ordensklinikum Linz. Teil davon ist ein hochspezialisiertes Kompetenzzentrum für Rhythmologie und Elektrophysiologie des Herzens. Es zählt zu den langjährigsten und erfahrensten in ganz Österreich und ist ein Vorreiter in der Anwendung bahnbrechender neuer Technologien. Aichinger selbst ist Experte für das gesamte Spektrum der koronaren, nichtkoronaren und elektrophysiologischen Interventionen am Herzen.
Wenn das Herz aus dem Takt gerät
Unser Herz pumpt das Blut durch den Körper, weil Stromimpulse aus dem so genannten Sinusknoten des Organs die Muskelzellen aktivieren. Funktionieren das Reizbildungs- oder das Erregungsleitungssystem aber fehlerhaft, dann schlägt es zu langsam, zu schnell oder unregelmäßig. „Krankhafte Herzrhythmusstörungen fallen medizinisch in den Bereich der Elektrophysiologie“, erklärt Aichinger. Bei manchen der zuvor erwähnten Tachykadien beispielsweise, deren Kennzeichen Anfälle von extremem Herzjagen mit bis zu 200 Schlägen pro Minute sind, liegt die Ursache in genetisch bedingten überzähligen Leitungsbahnen. „Dank der Hochfrequenzablation können wir diese mittlerweile mit einer Erfolgsquote von über 90 Prozent veröden.“ Da angeborene Tachykardien, wie etwa das Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Tachykardie), sehr junge Patienten betreffen, zähle es zu den Highlights seiner Laufbahn, dass diese heute heilbar sind, so der Kardiologe.
Bei der Ablation schieben die Ärzte einen Katheter mit einer Sonde über die Leistenvene bis in die linke Vorhofkammer des Herzens, um die für die Rhythmusstörungen verantwortlichen Stellen durch Hitze auszuschalten. Sie wird mit hochfrequentem Wechselstrom erzeugt. Alternativ kann man auch durch Kälte veröden, dabei kommt ein so genannter Kryoballon zum Einsatz. In Linz wendet man mehrheitlich die Hochfrequenzablation an. Auch beim so genannten Vorhofflimmern, der weitaus häufigsten Herzrhythmusstörung bei Erwachsenen, ist diese Technik heute Standard. Bei dieser Erkrankung verhindern elektrische Störsignale in der Einmündung der Lungenvenen einen regelmäßigen Sinusrhythmus. Das Herz gerät aus dem Takt und das Blut staut sich in den Vorhöfen. Damit geht die Gefahr eines Schlaganfalls einher, weil sich Blutgerinnsel lösen und zum Gehirn wandern können. „Beim Vorhofflimmern veröden wir ebenfalls die Ursprungsherde direkt im Herzen, und das können hier durchaus einige Hundert Punkte sein“, schildert Aichinger. Entsprechend langwierig sei die Prozedur. „Sie kann schon mehrere Stunden dauern, die Erfolgsaussichten sind aber hoch.“
Die Erfolgsgeschichte der Ablation
Durch eine Weiterentwicklung, die so genannte hochenergetische Hochfrequenzablation, könnte sich die Behandlungsdauer in absehbarer Zeit verkürzen. 2018 war das Linzer Zentrum für Elektrophysiologie des Herzens als eine von weltweit acht Einrichtungen in ein Pilotprojekt mit der hierfür verwendeten neuen Sonde eingebunden. Sie setzt noch höhere Energien ein und ist dadurch noch effizienter. „Wir haben ausgezeichnete Erfolge damit verzeichnet und werden demnächst in eine darauf aufbauende Limited-Release-Evaluierung mit dem Gerät eingebunden sein“, so der Primar.
Die Spezialisierung des Ordensklinikums auf die Elektrophysiologie des Herzens begann nahezu zeitgleich mit der Entwicklung der Ablationstherapie. „Vor etwas mehr als dreißig Jahren waren wir mehr oder weniger die Ersten in Österreich, die sich dafür interessiert haben“, unterstreicht Aichinger. Der Deutsche Peter Osypka hat sie erfunden, 1986 wurde sie erstmals bei einer WPW-Tachykardie durchgeführt. Mit Erfolg – die Patientin war fortan dauerhaft beschwerdefrei. Im weltweiten klinischen Einsatz etablierte sich die Ablation ab Beginn der 90er-Jahre.
Pioniere der ersten Stunde saßen an der Universitätsklinik in Münster. „Mein Kollege Helmut Pürerfellner und ich fuhren damals dorthin und haben das von ihnen gelernt“, erzählt Aichinger. „Maßgeblich war aber auch, dass die Schwestern des Ordensklinikums unser Team sehr unterstützt haben.“ Dadurch habe man sich diese Neuheiten auch anschaffen können. „Heute kann man sich so kurze, im wahrsten Sinne des Wortes beherzte Entscheidungswege gar nicht mehr vorstellen“, schmunzelt Aichinger. „Aber die Ordensschwestern waren ungeheuer offen für Innovationen und haben uns vertraut.“
„Die Ordensschwestern waren ungeheuer offen für Innovationen und haben uns vertraut“, erinnert sich Kardiologe Josef Aichinger an die Anfänge der Ablationstherapie in Linz.
In den darauffolgenden Jahren sollten die Linzer noch bei etlichen Meilensteinen der Medizintechnik unter den ersten Anwendern sein. „Wenn man dann miterlebt, dass das den Patienten wirklich nutzt und man Dinge erreicht, die früher undenkbar waren, macht das große Freude“, resümiert der mittlerweile kurz vor der Pensionierung stehende Kardiologe.
Gebündelte Expertise durch Netzwerke
Internationale Forschungskooperationen, etwa mit der Universitätsklinik in Bordeaux und amerikanischen Zentren, ermöglichen aber nicht nur ein frühes Aufspringen auf technische Weiterentwicklungen, sondern auch Vorteile in der täglichen Arbeit. „Auf Basis von anonymisiertem Bildmaterial können wir die Ursprungsorte der Rhythmusstörungen im Austausch miteinander noch genauer lokalisieren.“ Und zwar via Teleradiologie. Die Kooperationspartner in den USA und Frankreich verfügen über Computerprogramme, die aus den MRT- und CT-Bildern der Linzer dreidimensionale Abbildungen des Patientenherzens errechnen können.
Innerhalb von Österreich sind die Experten des Ordenklinikums zusammen mit einigen anderen Zentren am Aufbau eines Netzwerks zur Akutversorgung komplexer Kammertachykardien beteiligt. „Kammerrhythmusstörungen, in der Fachsprache ventrikuläre Tachykardien, sind potenziell lebensbedrohlich“, erklärt Aichinger. „Sie sind zurzeit die größte Herausforderung auf unserem Gebiet.“ Oft seien sie die Folge vernarbten Gewebes aufgrund eines Herzinfarkts. Diese Patienten bekommen meist einen Defibrillator eingepflanzt, der ihnen im Notfall einen Elektroschock versetzt, um ein Kreislaufversagen durch die Rhythmusstörung zu verhindern. „Durch eine Ablation kann man ihnen das unter Umständen ersparen und ein schockfreies Leben ermöglichen.“ Auch hier habe man die eine oder andere technische Innovation bereits früh nutzen können. „Wir führen sogar Ablationen am Äußeren des Herzens durch, das machen noch nicht viele.“
Doch auch wenn die Segnungen der modernen High-Tech-Medizin auf seinem Gebiet unstrittig seien: Eine Medizin mit Augenmaß und das persönliche Eingehen auf die individuellen Erfordernisse der Patientinnen und Patienten seien ihm wichtig, betont Aichinger. „Wir möchten den Menschen das Leben erleichtern und keine unnötigen Risiken eingehen.“ Der hohen Erfolgsquote der Hochfrequenzablation stünde zwar mit zwei bis drei Prozent eine vergleichsweise niedrige Risikorate gegenüber. „Diese Risiken sind für die Betroffenen aber schwerwiegend.“ Da sie mit dem Lebensalter steigen, rate er zum Beispiel sehr betagten Menschen von dem Eingriff ab. „Es geht nicht darum, alles technisch Machbare umzusetzen, sondern darum, was bei wem sinnvoll ist.“ Die hohe Verantwortung seines Berufs ist dem Kardiologen bewusst. „Im Endeffekt ist die Patientensicherheit das Entscheidende. Und dafür sind das Können und die Erfahrung des elektrophysiologischen Teams das Um und Auf.“
Text: Uschi Sorz; Bild: depositphotos

Josef Aichinger, Prim. Mag. Dr.
Leiter der Abteilung Interne 2 für Kardiologie, Angiologie und interne Intensivmedizin am Ordensklinikum LInz
Aichinger studierte in Wien und Innsbruck Medizin und absolvierte zugleich ein Theologiestudium an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität in Linz, wo er heute noch Lehrbeauftragter für medizintheoretische Vorlesungen ist. Auf die interventionelle Kardiologie spezialisierte er sich unter anderem an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und an Katheterlabors in Frankreich und Italien. Ab 1989 war er am Aufbau des Zentrums für Rhythmologie und Elektrophysiologie des Herzens am Ordensklinikum Linz beteiligt. Er leitete das Herzkatheterlabor des Hauses, bevor er 2015 die Leitung der Abteilung Interne 2 für Kardiologie, Angiologie und interne Intensivmedizin übernahm.