Ein Antikörper, zwei Ziele
Immuntherapien sollen die Körperabwehr aktivieren, um Tumorzellen zu zerstören. Zu den Neuentwicklungen gehören bispezifische Antikörper, mit denen manche PatientInnen bereits behandelt werden.
Monospezifische Antikörper haben die Behandlung mancher Krebserkrankungen revolutioniert, wie etwa die Therapie von HER2-positivem Brustkrebs mit Trastuzumab. Doch ForscherInnen arbeiten an einer weiteren Form der Immuntherapie, die zum Teil bereits im Einsatz ist: die Therapie mit bispezifischen Antikörpern.
Monospezifische Antikörper bekämpfen Tumorzellen auf unterschiedliche Weise. Sie markieren Zellen für eine Attacke durch das Immunsystem, lösen „Bremsen“ für die Immunabwehr, blockieren Signalwege oder fangen Botenstoffe ab, die das Wachstum der Krebszellen antreiben, und an Toxine gekoppelt vergiften sie direkt die Tumorzellen. Alle diese Wirkweisen haben eines gemeinsam: der therapeutische Antikörper erkennt und bindet an ein einziges molekulares Ziel auf den Tumorzellen.
Antikörper mit zwei Zielen
Bispezifische Antikörper gehen einen Schritt weiter, haben sie doch gleich zwei Ziele. Eine Bindungsstelle zielt auf den Tumor ab, die andere auf Immunzellen. Während der Antikörper mit einer Seite an der Tumorzelle andockt, bindet er also auf der anderen Seite an T-Zellen – und bildet so eine Brücke zwischen den beiden „Gegnern“. Im engen Kontakt zu einander attackieren die T-Zellen die Tumorzellen. "Ein Vorteil gegenüber monospezifischen Antikörpern ist, dass die T-Zellen an die Krebszellen gebracht werden. Durch das Binden am CD3-Rezeptor an den T-Zellen werden diese auch aktiviert, damit sind die bispezifischen Antiköper auch sehr zytotoxisch," erklärt Dr. Sigrid Machherndl-Spandl, Oberärztin der Abteilung Innere Medizin 1 des Ordensklinikums Linz.
Blinatumomab ist der einzige bisher in der EU zugelassene bispezifische Antikörper. Er besteht bloß aus einer Bindungsstelle für CD19, einem Oberflächenantigen, das für B-Zellen charakteristisch ist, und einer Bindungsstelle für den CD3-Rezeptor auf T-Zellen, sowie einer kurzen Proteinbrücke dazwischen. Blinatumomab ist schon länger für die Behandlung von PatientInnen mit einem Rückfall oder einer sonst nicht behandelbaren Form der Philadelphia-Chromosom-negativen, CD19-positiven akuten lymphatischen Leukämie zugelassen. „Bei der chemotherapie-refraktären ALL hat man gesehen, dass durch Blinatumomab auch noch komplette Remissionen möglich sind“, berichtet Machherndl-Spandl.
Therapie von der Stange
Seit Anfang 2019 ist Blinatumomab auch für die Behandlung von akuter lymphatischer Leukämie in Remission mit minimaler residualer Resterkrankung zugelassen. Das bedeutet, dass alle Krankheitszeichen verschwunden sind, im Labor aber ein minimaler Verbleib von bösartigen Blutzellen nachgewiesen werden kann. Auch diese PatientInnen können nun mit Blinatumomab behandelt werden – einer in der Praxis sehr gut verträglichen Therapieform. „ALL ist nicht so häufig, trotzdem kommt Blinatumomab regelmäßig zum Einsatz. Es hat zwar auch mögliche unerwünschte Wirkungen, wie neurologische Nebenwirkungen oder länger anhaltenden Immunglobulinmangel und dadurch Infekteneigung. Aber in unserer Erfahrung ist es sehr gut verträglich, die Patienten zeigen keine Übelkeit oder Schwäche, anders als bei der Chemotherapie“, berichtet Machherndl-Spandl.
„Aber in unserer Erfahrung ist es sehr gut verträglich, die Patienten zeigen keine Übelkeit oder Schwäche, anders als bei der Chemotherapie“, berichtet Sigrid Machherndl-Spandl.
Im Unterschied zur CAR-T-Zell-Therapie, an der ebenfalls viel geforscht wird, müssen bispezifische Antikörper nicht für jeden Patienten maßgeschneidert werden. Sie können also sofort verschrieben und gegeben werden. „BiTE-Antikörper [Anm: Eine Form bispezifischer Antikörper, zu der auch Blinatumomab gehört] können durch ein einziges Gen codiert und mit biotechnologischen Verfahren aus Zellkulturen gewonnen werden. Aber man muss sie nicht an den Patienten anpassen, außer in der Dosis. Trotzdem sind auch sie nicht günstig.“
Kurze Haltbarkeit verhindert weiten Einsatz
Der große Nachteil von bispezifischen Antikörpern ist ihre begrenzte Haltbarkeit, erklärt Machherndl-Spandl. „Weil sie eine kurze Halbwertszeit haben, verlieren sie ihre Wirkung, sobald das Medikament abgesetzt wird. Und auch die T-Zell Aktivierung funktioniert nur so lange, wie auch das Medikament im Körper ist. Deshalb wird es vier Wochen lang als kontinuierliche Infusion gegeben. Zwar hat man die Wirksamkeit vor allem bei der ALL gesehen, und es gibt einzelne Personen in den Studien, bei denen ein dauerhaftes Ansprechen erreicht wird. Aber das ist der kleinere Teil der Patienten. Derzeit sehen wir es daher eher als Überbrückung zu einer weiteren Therapie, etwa einer Stammzellentransplantation oder theoretisch eine CAR-T-Zell-Therapie.“
Damit bispezifische Antikörper ihre Wirkung weiter entfalten können, ist noch Entwicklungsarbeit notwendig. „Man arbeitet gerade daran, dass mit speziellen chemischen Verbindungen die Stabilität und Halbwertszeit verlängert wird“, weiß Machherndl-Spandl. Amunix etwa arbeitet an einer Form von bispezifischen Antikörpern, die speziell in der Tumorumgebung aktiv werden, während Xencor an stabileren Antikörpern forscht. Bei Amgen macht die Version BiTE bereits 60% der Onkologie-Pipeline aus. Und manche Unternehmen gehen noch weiter – mit der Entwicklung von tri- oder multispezifischen Antikörpern.
Text: Sophie Fessl; Bild: www.depositphotos.com

Sigrid Machherndl-Spandl, Dr.
Oberärztin an der Abteilung für Innere Medizin 1 des Ordensklinikums Linz
Nach der Ausbildung im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern wechselte sie im Oktober 2000 zu den Elisabethinen an die Hämato-Onkologie. Fachärztin für Innere Medizin seit 2008, Zusatzfach für Hämato-Onkologie seit 2010, Zusatzfach für Intensivmedizin seit 2017. Ihr Schwerpunkt liegt in der Hämatologie, vor allem die Behandlung akuter Leukämien und anderer maligner Knochenmarks- und Bluterkrankungen inklusive autologer und allogener Stammzell-Transplantation. Machherndl-Spandl ist verheiratet und Mutter einer Tochter.