Intensivwochen für die Seele
Die Aktion „Glück schenken“ des Ordensklinikums Linz ist 25 Jahre alt. Im Interview zieht die Initiatorin, Oberärztin Manuela Baumgartner, eine Zwischenbilanz.
Es sind ganz besondere Ferienaufenthalte für Familien mit beeinträchtigten Kindern, die die Aktion „Glück schenken“ ermöglicht. „Bei unseren Intensivwochen in Lignano oder Münster handelt es sich nicht um einen herkömmlichen Urlaub. Wir bieten Eltern – und auch Geschwistern – Referate und Workshops zu Themen, die sie im Alltag bewegen und über die sie sonst kaum je sprechen können. Diese tiefgreifende Auseinandersetzung mit der eigenen Situation stärkt und gibt neue Lebensenergie“, sagt Oberärztin Manuela Baumgartner. Sie ist Leiterin der neuropädiatrischen Ambulanz des Ordensklinikums Linz und hat „Glück schenken“ vor 25 Jahren initiiert. Im Interview spricht sie über das Projekt und erklärt, dass dieses selbst ein Zusammenspiel von mehreren Glücksfaktoren gebraucht hat, um bis heute erfolgreich zu sein: „Unsere Sponsoren, meine ehrenamtlichen Mitstreiter, die Unterstützung des Ordensklinikums und nicht zuletzt die wunderbaren Familien, die unser Programm so gut annehmen.“

Frau Baumgartner, was hat Sie auf die Idee gebracht, Familien mit beeinträchtigten Kindern durch einen Ferienaufenthalt zu unterstützen?
Manuela Baumgartner: Der Impuls kommt natürlich aus meiner Arbeit mit den beeinträchtigten Kindern in der Ambulanz. Mein Schlüsselerlebnis war ein Zwischenfall mit einer Familie, die ihre Situation sehr gut zu meistern schien. Einmal erzählte der Vater voller Stolz, wie toll seine Frau den Alltag manage, alles laufe wie am Schnürchen. Kurz darauf holte die Frau etwas bei uns ab und ich erinnere mich, wie sie da stand, hübsch, gepflegt, schick zurechtgemacht, und so zwischen Tür und Angel sagte: „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe.“ Da wurde mir bewusst, wie sehr die Eltern und Geschwister auf der Strecke bleiben. Selbst wenn man es ihnen nicht gleich anmerkt.
Ich habe auch nicht in erster Linie an Erholungsurlaube gedacht, sondern an eine eigene Erfahrung, die für meine Familie sehr bereichernd war. Und zwar sind wir bei einer katholischen Erneuerungsbewegung, der Schönstatt-Bewegung, die ähnliche Aufenthalte anbietet. Da nimmt man in Kleingruppen und unter Anleitung Partnerschafts- und Erziehungsfragen unter die Lupe. Meine Idee war es, dieses Schönstatt-Konzept für die besonderen Themen von Familien mit beeinträchtigten Kindern zu adaptieren und das mit den geeigneten Rahmenbedingungen und unserem fachlichen Know-how zu verknüpfen. Was dabei herausgekommen ist, ist eine Art seelischer Aktivurlaub für diese Familien mit ihren speziellen Herausforderungen und Bedürfnissen.

Wie konnten Sie diese Idee umsetzen?
Ich habe damals, 1994, mein Konzept bei einem Ideenwettbewerb des Bundesministeriums eingereicht. Tatsächlich haben wir den ersten Preis bekommen. Allerdings waren diese 20.000 Schilling auch nicht so üppig, um ohne Weiteres so eine Woche auf die Beine zu stellen. Aber mein Mann, ein Kardiologe, hat sofort gesagt, er macht mit. Bis heute nimmt er sich jedes Jahr Urlaub dafür. Freunde haben sich angeschlossen. Vom ersten Moment an hatte ich ehrenamtliche Mitstreiter. Nach zehn Jahren kam ein Arztkollegenpaar, Veronika und Fritz Pilshofer, dazu. Maria und Roland Forster, die jahrelang als Eltern teilnahmen, wurden später engagierte Referenten. Die Psychologin Elisabeth Kuhn bringt ihr Wissen in den Geschwistergruppen ein. All diese Menschen sind langjährige tragende Pfeiler des Projekts.

Wie hat sich das Projekt im Laufe der Jahre entwickelt? Und wie wird es finanziert?
Als wir begannen, war ich ärztliche Leiterin des entwicklungsdiagnostischen und medizinisch-therapeutischen Ambulatoriums St. Isidor in Leonding. Dort haben wir die ersten Intensivwochen abgehalten, gefördert vom Land Oberösterreich. Vor zwölf Jahren wechselte ich zu den Barmherzigen Schwestern und nahm das Projekt mit. Ich bin sehr dankbar, dass das Spital uns mit der gesamten organisatorischen Abwicklung unterstützt.
Mit der Zeit wuchs unser Platzbedarf und in Lignano und Münster haben wir behindertengerechte Anlagen gefunden. Seit das Projekt nicht mehr in St. Isidor ist, ist es rein spendenfinanziert. Wir haben Hauptsponsoren wie den Lions Club 2000 Linz, die Donau Versicherung AG, die Cubido Business Solutions GmbH und andere, ohne deren Hilfe unsere Arbeit nicht möglich wäre. Wenn sie können, steuern die meisten Familien einen gewissen Selbstbehalt bei. Und Ehrungen wie etwa der Äskulap-Solidaritätspreis oder der Preis der Orden helfen uns nicht nur finanziell, sondern auch, weil sie potenziellen Sponsoren zeigen, dass unsere Sache Hand und Fuß hat.

Ein großes Plus ist die Vollzeit-Kinderbetreuung durch freiwillige Helfer.
Es gibt für jedes Kind einer Familie eine eigene Betreuungsperson. Ursprünglich waren das meine vier Kinder und ihre Freunde. Das zog dann rein über Mundpropaganda immer weitere Kreise. Es sind so tolle junge Menschen, mit einem anderen Ferienjob könnten sie wesentlich mehr Geld verdienen. Bei uns bekommen sie nur Kost und Logis und ein Taschengeld. Trotzdem fahren viele jedes Jahr aufs Neue mit.
Wie kann man sich die Aufenthalte vorstellen?
Pro Aufenthalt – wir organisieren zwei im Jahr – fahren circa 13 Familien mit. Vormittags gibt es ein inhaltlich auf die Fragen der Eltern abgestimmtes Referat. Zum Beispiel ihr Leben als Paar betreffend. Oder das Umfeld. Was tun, wenn immer nur das gesunde Kind eingeladen wird? Wie reagieren, wenn die Nachbarin auf das Kind zeigt und sagt „So was ist heute aber nicht mehr notwendig.“ Es gibt ganz viele Verletzungen, aber auch Missverständnisse, die auf einen grundlegenden Schmerz zurückgehen. Der führt oft zu Sprachlosigkeit, sogar gegenüber dem eigenen Partner. Oder gegenüber Verwandten, von denen man sich gekränkt fühlt. Solche Sachen können wir miteinander aufdröseln.
Nach dem Referat setzen sich die Eltern in Kleingruppen mit einem von uns zusammen und tauschen sich aus. Der Nachmittag ist frei, etwa um einmal als Paar etwas zu unternehmen. Am Abend kommen wir noch einmal alle zusammen. Was Nichtbetroffene schwer nachvollziehen können: Ein beeinträchtigtes Kind zu bekommen ist ein Schock, gefolgt von einem individuell verlaufenden, langwährenden Trauerprozess. Diese Gefühle aussprechen zu können, ist heilsam.

Was ist mit den Geschwisterkindern?
Die Geschwister haben eigene Gruppen, in Lignano geleitet von Elisabeth Kuhn, in Münster von anderen Psychologinnen. Hier sind die Abläufe kindgerecht, sie zeichnen, basteln, reden. Am Ende bekommen sie von den Eltern einen Brief, der vorgelesen wird. Denn auch die Geschwister haben vieles zu verarbeiten: Sie müssen oft zurückstecken, es gibt keinen Raum für Geschwisterrivalität, sie fühlen sich hintangereiht.
Für Sie bedeuten die Aufenthalte viel Arbeit. Freut es Sie immer noch nach all den Jahren?
Hin und wieder haben wir gesagt, wir machen ein Jahr Pause. Aber dann hört man die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Endrunde Bilanz ziehen. Danach wissen wir genau: Es gibt keine Pause. Weil das einfach so wunderschön ist. Wenn Menschen etwa sagen: „Es hat mir so gut getan.“ Oder: „Jetzt haben wir wieder ganz anders zueinander gefunden“. Sie seien stolz auf ihre Familie. Es ist erfüllend, so etwas ermöglichen zu können. Das Feedback der Eltern ist die treibende Kraft für mich.

Was gefällt Ihnen besonders?
Ich bin begeistert von den Vätern. Bei ihnen bemerke ich den größten Umschwung. Im Vorhinein sagen sie ja oft, ich brauch’ so was eigentlich nicht. Und wenn sie sich öffnen, ist es so ein Highlight für die Frauen. Die strahlen dann über das ganze Gesicht. Manchmal wollen die Männer gar nicht mitfahren, aber wir nehmen nur die gesamte Familie. Keiner wird hier gezwungen, sein Innerstes nach außen zu kehren, aber dabei sein muss man schon. Eine Mutter hat einmal erzählt, dass sie sich die Woche zum Geburtstag wünschen musste, um ihren Mann dazu zu bewegen. Nach der Woche hat er gesagt: „Eigentlich war es ein Geschenk für mich.“
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass dieses extrem sinnvolle Projekt weitergeht und immer wieder neue Impulse dazukommen. Ich fände es auch gut, wenn es so etwas österreichweit häufiger gäbe. Aber ich verstehe, warum es schwer umzusetzen ist. Bei uns war es eine Summierung von fünf Glücksfaktoren – einer weniger, und das Ganze gäbe es nicht mehr. Damit meine ich dieses einzigartige Ineinandergreifen von sozialpädagogischem Schönstatt-Know-how, engagierten Einzelpersonen, Spital, Sponsoren und letztlich den Familien, die etwas daraus machen. Wir tun das nicht aus Mitleid, sondern aus Wertschätzung. Weil es tolle Familien sind.
Interview: Uschi Sorz, Bilder: Manuela Baumgartner

Manuela Baumgartner, Dr.
Oberärztin an der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde des Ordensklinikums Linz
Die Neuropädiaterin leitet am Ordensklinkum Linz seit 2004 die Ambulanz für Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie, zudem ist sie Konsiliarärztin für Entwicklungsneurologie im familientherapeutischen Zentrum Grieskirchen und lehrt auf dem Gebiet der Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Im Rahmen der Aktion „Glück schenken“ (www.glueck-schenken.at) hat sie 1994 die Intensivwochen für Familien mit beeinträchtigten Kindern ins Leben gerufen, die sie seitdem leitet und die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden: dem Höchstpreis des Bundesministeriums für neue Ideen zum internationalen Jahr der Familie 1994, dem Landesfamilienoskar 1999, dem Äskulap-Humanitätspreis 2009 und 2011, dem Solidaritätspreis der Kirchenzeitung 2015, dem Preis der Orden 2016.