Neue Hoffnung für Migränepatient*innen
Migräne ist nicht „nur ein Kopfschmerz". Sie ist eine wiederkehrende, oftmals auch chronische Erkrankung, die Betroffene regelrecht außer Gefecht setzen kann. In der Migräneforschung hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. INGO sprach mit Prof. Dr. Christian Lampl, Leiter der Abteilung für Neurologie am Krankenhaus Barmherzige Brüder und Präsident der Europäischen Kopfschmerzgesellschaft EHF, über die neuen Behandlungsansätze.
Herr Prof. Lampl, was unterscheidet Migräne von anderen Kopfschmerzen?
Christian Lampl: Die Migräne zählt zu den primären Kopfschmerzarten. Das bedeutet, sie tritt selbstständig auf, oftmals ohne erkennbare Ursache. Sie besteht zudem nicht nur aus dem Kopfschmerz, sie hat auch sogenannte Vor- und Nachstadien. Zudem unterscheidet sie sich durch ihre Symptomabfolge.
Wie sieht der Ablauf einer Migräneattacke aus?
Die Migräne kündigt sich mit Vorboten wie Unwohlsein, depressive Stimmung sowie Schlaf- oder fallweise auch Sehstörung an. Darauf folgt die Kopfschmerzphase, die mehrere Stunden bis Tage andauern kann. Der Kopfschmerz ist dabei charakteristisch pulsierend oder pochend und verstärkt sich bei körperlicher Betätigung. Ganz typisch sind eine Überempfindlichkeit gegen Licht oder Lärm, sowie Übelkeit - im schlimmsten Fall auch Erbrechen. Betroffene haben meist ein extremes Ruhebedürfnis. Die Nachhallphase ist durch Müdigkeit, manchmal auch vermehrtem Harnfluss, Nervosität und Unruhe gekennzeichnet. Danach folgt die sogenannte interiktale Phase. Das ist der Zeitraum zwischen den Anfällen.
Wie viele Migränearten gibt es und welche sind die häufigsten?
Es gibt insgesamt 29 unterschiedliche Formen. Die häufigste Art ist die Migräne ohne Aura gefolgt von der Migräne mit Aura. Als Aura bezeichnet man das Vorstadium, in dem man beispielsweise die bereits erwähnten Seh- oder Sprachstörungen haben kann. Sie dauert meistens 20 bis 30 Minuten gefolgt von der Kopfschmerzphase. Sehr häufig kommt auch die menstruationsbedingte Migräne vor. In Österreich leiden circa elf Prozent der erwachsenen Bevölkerung an episodischer Migräne. Die höchste Prävalenz findet sich bei Erwachsenen zwischen 20 und 45 Jahren, wobei Frauen dreimal häufiger betroffen sind als Männer.
"In Österreich leiden circa elf Prozent der erwachsenen Bevölkerung an episodischer Migräne."
Wie lautet die Diagnostik?
Sie ist eine rein klinische, die von der Kopfschmerzschilderung ausgeht. Aufgrund der Beschreibungen der Begleitsymptome, der Kopfschmerzqualität und der Dauer lässt sich eine Migräne gut von anderen Kopfschmerzformen unterscheiden.
Ab welchem Alter kann der Mensch Migräne bekommen?
Eine Migräne-Erkrankung ist in jedem Alter möglich.
Ist die Migräneprävalenz bei Kindern und Jugendlichen gestiegen?
Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass gewisse Faktoren wie Schlafmangel in Verbindung mit der zu hohen Verwendung von elektronischen Geräten zu vermehrten Stresssituationen führt und damit zu einer erhöhten Anzahl an Kinderkopfschmerzpatienten. Diese müssen aber nicht immer Migräniker*innen sein. Bei Kindern kommen aber auch genetische Faktoren hinzu.
Welche Akut-Therapien gibt es?
Bei leichteren Attacken können herkömmliche Schmerzmittel wie das altbewährte Aspirin und nichtsteroidale Antirheumatika mit den Wirkstoffen Ibuprofen oder Diclofenac gut eingesetzt werden. Bei stärkeren Attacken helfen die sogenannten Triptane, die es seit Mitte der 1990er-Jahre gibt. Diese haben aber eine gefäßverengende Wirkung und sind deshalb für Patient*innen, die mit verengten Schlagadern zu tun hatten, ungeeignet. Für diese Gruppe gibt es zukünftig neue Präparate, die sogenannten Gepante. Sie werden im nächsten Jahr auf den Markt kommen. Diese können auch bei Patient*innen mit gefäßverengenden Erkrankungen eingesetzt werden und auch bei denjenigen wirken, bei denen die herkömmlichen Migräne-Therapien nicht wirken.
"Die sogenannten Gepante können auch bei Patient*innen mit gefäßverengenden Erkrankungen eingesetzt werden."
Es gibt auch Antikörpertherapien bei Migräne? Wie sieht die Studienlage aus?
Antikörpertherapien werden ausschließlich in der Migräneprophylaxe eingesetzt. Die Studienlage in Österreich ist sehr gut, denn sie bestätigt die langanhaltende Wirksamkeit.
Was hat sich in den vergangenen Jahren sonst noch in der Forschung getan?
Neben den bereits erwähnten Gepanten, die zukünftig zur Akut-Therapie eingesetzt werden, soll es auch ein neues Gepant zur Migräne-Prophylaxe geben. Hier laufen zurzeit noch Studien. Eine weitere Alternative zu den Triptanen ist der neue Wirkstoff Lasmiditan, der im Medikamenten Reyvow enthalten ist. Diese sind zurzeit aber nur per Sonderverordnung für Migräniker*innen zugelassen.
Kann man sagen, dass es für jede(n) Migräniker*in bereits die passende Therapie gibt?
Ja, mit dem Armamentarium, das uns derzeit sowohl in der Akuttherapie als auch in der Prophylaxe zur Verfügung steht, ist eine bestmögliche individuelle Therapie bereits möglich.
Interview: Rosi Dorudi;

Christian Lampl, Prim. Univ.-Prof. Dr.
Leiter der Abteilung für Neurologie am Krankenhaus Barmherzige Brüder und Leiter des Zentrums für integrative Alternsmedizin ZiAM am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern.
Lampl ist Leiter der Abteilung für Neurologie am Krankenhaus Barmherzige Brüder und Leiter des Zentrums für integrative Alternsmedizin am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, wo er auch stv. Ärztlicher Direktor ist. Lampl promovierte 1990 an der Medizinischen Fakultät Innsbruck. 1997 erhielt er die Facharztanerkennung für Neurologie und Psychiatrie durch die ÖÄK. Danach war er als Oberarzt an der Abteilung für Neurologie und Psychiatrie am AKH Linz tätig, an dem er auch leitender Oberarzt an der Schmerzabteilung und Leiter der Schmerzambulanz war. Lampl ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Neurologie und Psychiatrie mit dem Spezialgebiet Schmerztherapie. Er ist zudem Präsident der Europäischen Schmerzgesellschaft (EHF).