"Wir brauchen viel mehr Hebammen!"
Gerlinde Feichtlbauer, Vizepräsidentin des Österreichischen Hebammengremiums, über die Aufgaben von Hebammen in einem gewandelten gesellschaftlichen Umfeld und den Mangel an Hebammen, der sich schon bald massiv verschärfen wird.
Der drohende Pflegenotstand wird zunehmend zum Thema – von einem Hebammenmangel hört man dagegen weniger. Gibt es diesen Mangel tatsächlich?
Feichtlbauer:Den gibt es definitiv. Hebammen in der freien Praxis können heute österreichweit gerade einmal 15 Prozent aller Nachbetreuungen nach der Geburt abdecken, wobei dieses Manko in größeren Städten noch ausgeprägter ist als am Land. Und es gibt schon heute Krankenhäuser, die Hebammenstellen mangels Bewerberinnen nicht mehr nachbesetzen können. Ein Blick in das Hebammenregister zeigt ganz klar, dass sich dieser Mangel weiter verschärfen wird, weil in fünf bis zehn Jahren viele Hebammen in das Ruhestandsalter gelangen. Da kommt eine massive Pensionswelle auf uns zu.
„Es mangelt auch an Plätzen für das Praktikum, das in der Ausbildung ja verpflichtend vorgeschrieben ist.“
Ist der Hebammenberuf für junge Frauen nicht mehr attraktiv?
Ganz im Gegenteil, das Interesse ist enorm. Doch es gibt an den sieben Fachhochschulen in Österreich, die das Bachelor-Studium Hebamme anbieten, zu wenig Ausbildungsplätze. Allein an der FH Gesundheitsberufe OÖ haben sich im Vorjahr rund 300 Interessentinnen beworben, aber nur 22 konnten aufgenommen werden. Das Angebot an Studienplätzen wird zwar sukzessive erweitert. So hat das Land Oberösterreich bereits einen guten Schritt gesetzt, indem nun jedes Jahr ein Studiengang beginnt und nicht mehr bloß alle zwei Jahre wie bisher. Aber es mangelt auch an Plätzen für das Praktikum, das in der Ausbildung ja verpflichtend vorgeschrieben ist. Diese Plätze sind nicht beliebig vermehrbar. Eine vernünftige Lösung könnte ein Zwischenjahrgang sein, sodass der Studiengang abwechselnd im Sommer- bzw. Winterhalbjahr startet. Dann würden sich die Praktika besser übers Jahr verteilen.
Wie viele Hebammen gibt es derzeit in Österreich?
Rund 2200, wobei mehr als die Hälfte davon in einem Krankenhaus angestellt und zugleich auch in der freien Praxis tätig sind. Mehr als 430 Kolleginnen arbeiten ausschließlich freipraktizierend, rund 550 ausschließlich als Angestellte.
Wozu brauchen wir eigentlich mehr Hebammen, wenn es doch immer weniger Geburten gibt?
Zum einen sind die Geburtenraten regional durchaus unterschiedlich. Vor allem aber haben sich die Familienverhältnisse und das soziale Umfeld im Vergleich zu früher massiv gewandelt. Früher gab es größere Familien mit mehreren Generationen. Dort haben die Töchter im Alltag von ihren Müttern und Großmüttern vieles an Wissen rund um Geburt und Betreuung mitbekommen. Dieser Kommunikationsfluss fehlt heute oft. Heute haben wir eine Generation von jungen Müttern, die zwar oft theoretisch gut informiert sind, aber zuvor noch nie ein Neugeborenes im Arm gehalten haben. Das beginnt beim Wickeln und beim Baden und betrifft besonders auch das große Thema Stillen. Da sind wir Hebammen extrem gefordert, um diese Kenntnisse zu vermitteln.
„Heute haben wir eine Generation von jungen Müttern, die zwar oft theoretisch gut informiert sind, aber zuvor noch nie ein Neugeborenes im Arm gehalten haben.“
Der Kreißsaal ist also nicht mehr der hauptsächliche Arbeitsplatz von Hebammen?
Die Geburt ist natürlich ein zentrales Ereignis, aber Geburtshilfe ist eben nur ein Teil unseres Arbeitsfeldes, das sich stark ausgeweitet hat. Unsere Tätigkeit umspannt die gesamte Zeit vom positiven Schwangerschaftstest bis zum ersten Geburtstag des Kindes. Das ist noch nicht allen bewusst, auch nicht allen Betroffenen. So wird etwa die kostenlose, einstündige Hebammen-Beratung, die im Mutter-Kund-Pass zwischen der 18. und 22. Schwangerschaftswoche vorgesehen ist, erst von 30 Prozent der werdenden Mütter tatsächlich in Anspruch genommen.
Bezahlen die Krankenkassen auch andere Hebammenleistungen?
Seit zwei Jahren ist die Wochenbett-Betreuung eine Kassenleistung, auf die jede Frau Anspruch hat: Bezahlt werden fünf Hausbesuche der Hebamme in den ersten fünf Tagen nach der Geburt und bei Bedarf sieben weitere bis zur achten Lebenswoche. Das sind wichtige Versorgungsleistungen, auch angesichts des anhaltenden Trends zu kürzeren Spitalsaufenthalten nach der Entbindung. Von einer flächendeckenden Nachbetreuung kann aber, wie schon erwähnt, keine Rede sein. Dazu gibt es viel zu wenig Kassenhebammen und Hebammen insgesamt. Ein Ausbau dieses Angebots wäre auch gesundheitsökonomisch sinnvoll, weil junge Mütter dann nicht – wie es heute immer wieder passiert – schon wegen kleineren Problemen in die Spitalsambulanzen kommen müssten.
Warum sind Hebammen bei den Vorsorgeuntersuchungen von Schwangeren nicht stärker eingebunden?
Da gibt es unverständliche Einschränkungen. Laut Hebammengesetz dürfen wir zwar alle Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft mit Ausnahme von Ultraschall eigenständig durchführen, aber ohne entsprechenden ärztlichen Stempel im Mutter-Kind-Pass wird das Kinderbetreuungsgeld nicht ausbezahlt. Das kann oder will sich keine Frau leisten. An dieser Situation wird leider auch die Überarbeitung der Verordnung für den Mutter-Kind-Pass, die derzeit stattfindet, nichts ändern.
Wird die Arbeit der Hebammen zu wenig geschätzt?
Es ist wichtig, ganz allgemein die Bedeutung und das Ansehen des Hebammenberufs in der Öffentlichkeit zu stärken. Das wünschen wir uns auch von der Gesundheitspolitik. Wir wollen nicht in ein alternatives oder esoterisches Eck gedrängt werden, sondern als das wahrgenommen werden, was wir sind: Fachexpertinnen auf einem bestimmten Gebiet, für Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach.
Wenn Sie noch einmal vor der Berufswahl stünden: Würden Sie wieder Hebamme werden?
Ja, das kann ich nach 24 Jahren in diesem Beruf mit Sicherheit sagen. Es ist eine bereichernde Arbeit mit unzähligen positiven Situationen und mit umfangreichen Aufgaben, zu denen neben der eigentlichen Geburtshilfe immer stärker auch Information, Beratung und Begleitung vor und nach der Geburt zählen. Attraktiv ist auch die Flexibilität in der Berufsausübung, ob in der freien Praxis, angestellt oder in Kombination. Nicht zuletzt sind die Berufsaussichten ausgezeichnet: Praktisch alle FH-Absolventinnen können sich ihren Wunschjob aussuchen und haben schon vor dem Ende ihres Studiums eine fixe Zusage.
Interview: Josef Haslinger; Bild: www.depositphotos.com

Gerlinde Feichtlbauer,
Vizepräsidentin des Österreichischen Hebammengremiums
Die 44-jährige Innviertlerin leitet das Hebammen-Team am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried und betreibt eine Hebammenordination in Aurolzmünster. In der Freipraxis bietet sie werdenden Eltern individuelle Betreuung sowie Hausbesuche zur Nachbetreuung. Darüber hinaus ist sie ausgebildete Still- und Laktationsberaterin sowie Aromatherapeutin. Feichtlbauer ist verheiratet und hat zwei Töchter.