"Mehr Chancen durch die junge medizinische Fakultät!"
Andrea Olschewski, Vizerektorin für Medizin und Dekanin der Medizinischen Fakultät an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), über die größten Herausforderungen in Lehre und Forschung, die nächsten Schritte Richtung Vollausbau und den weiten Weg zum „Medical Upper Austria“.
Wo steht die Linzer Medizinische Fakultät fünf Jahre nach ihrer Errichtung?
Andrea Olschewski: Wir sind gemeinsam mit unserer Partneruniversität in Graz auf dem Weg zum Vollausbau. Die Zahl der jährlichen Ausbildungsplätze ist von 120 auf 180 gestiegen und wird sukzessive weiter erhöht, bis die geplante Kapazität von 300 Studienanfängern pro Jahr erreicht ist. Das wird erstmals 2023 der Fall sein. Im Vorjahr konnten wir die ersten 60 Studierenden begrüßen, die ihr gesamtes Studium in Linz absolvieren werden. Im Vollausbau wird dies auf 180 Studierende pro Jahrgang zutreffen. Jeweils 120 Studierende werden aber auch danach die ersten vier Semester in Graz verbringen, um die dortigen Kapazitäten in der grundlagenmedizinischen Ausbildung weiterhin auszulasten. Das ist so vereinbart, und es ist sinnvoll, auch wenn es komplexe Abstimmungen erfordert.
Die Medizinische Fakultät ist mit dem Anspruch gestartet, einen neuen Typ der Medizinausbildung anzubieten. Hat sich das in der Praxis bewährt?
Gemäß dem Bologna-System ist das Studium der Humanmedizin an unserer Fakultät als zweistufiges Bachelor- und Masterstudium mit dem Abschluss als Dr. med. univ. konzipiert – das einzige dieser Art in Österreich. Mit dem abschließenden klinisch-praktischen Jahr, das unser erster Studienjahrgang im kommenden Herbst beginnen wird, dauert auch diese Ausbildung sechs Jahre. Neu ist insbesondere auch der organ- und themenzentrierte Ansatz der Ausbildung, gemäß unserem Anspruch „Medizin neu denken“. Die Gliederung erfolgt dabei in fächerübergreifenden, organspezifischen Modulen. Ähnliche sogenannte Reformstudiengänge gibt es auch in Deutschland. Die Idee ist sehr gut, der Teufel steckt ein wenig im Detail,besonders in der unbedingt erforderlichen exakten Abstimmung der einzelnen Fächer. Ein großer Vorteil ist, dass die Studierenden schon früh im Studium Einblicke in die Klinik erhalten und bereits im ersten Jahr Patientenkontakt haben können.
Ein Argument für die Einrichtung der Medizinischen Fakultät war die Sicherung der ärztlichen Versorgung in Oberösterreich. Die ersten Absolventinnen und Absolventen werden 2020 die JKU verlassen – wie viele werden im Land bleiben?
Das wird sich zeigen. Nach unseren Erkenntnissen weiß rund die Hälfte der nächstjährigen Absolventinnen und Absolventen bereits, was sie danach machen wird – die Palette ist breit gefächert. Wir sind bestrebt, auch niedergelassene Allgemeinmediziner schon früh als Lehrende einzubinden und zu den Studierenden zu bringen, zum Beispiel in Tracks wie ärztliche Gesprächsführung, Fertigkeiten und Fähigkeiten. So können sie zeigen, wie relevant ihr Beruf für die Bevölkerung ist. Die Summer School in Haslach, die jetzt im Juli wieder stattfindet, bietet Studierenden Gelegenheit, eine Woche lang in einem Primärversorgungszentrum zu „schnuppern“. Es gibt viele kleine Rädchen, an denen wir drehen.
Anders gefragt: Sind 300 Studienplätze pro Jahrgang im Vollausbau genug, um dem drohenden Ärztemangel in Oberösterreich, vor allem bei den Hausärzten, entgegenzuwirken?
300 Plätze sind sicherlich ein richtiger Schritt. Aber eine zusätzliche Fakultät kann nicht alle Probleme lösen. Der Arztberuf im niedergelassenen Bereich wird nicht attraktiver, bloß weil es mehr Studienplätze gibt. Da bedarf es auch struktureller Änderungen, etwa die Etablierung von neuen Versorgungszentren, um damit die Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten, oder Entrümpelung bei der Administration. Dazu gehört auch die verstärkte Einbindung anderer Gesundheitsberufe, um die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen.
„Eine zusätzliche Fakultät kann nicht alle Probleme lösen. Der Arztberuf im niedergelassenen Bereich wird nicht attraktiver, bloß weil es mehr Studienplätze gibt.“
Ist Linz als Standort einer Medizinischen Fakultät für interessierte junge Menschen attraktiv genug?
Unsere Aufnahmetests sind regelmäßig acht- bis zehnfach „überbucht“. Der Med Campus I, der derzeit in Bau ist und 2021 fertiggestellt sein wird, wird die Attraktivität der Fakultät nochmals erhöhen, für den Lehr- und Forschungsbetrieb, aber auch als Anziehungspunkt für das studentische Leben. In diesem Punkt gibt es in Linz noch etwas aufzuholen.
Gibt es ausreichend Lehrende?
Das ist zweifellos eine große Herausforderung. Der derzeitige Personalstand reicht für die aktuelle Zahl an Studierenden, doch bei 300 Studienplätzen pro Jahrgang wird das erheblich schwieriger. Wir rekrutieren verstärkt und arbeiten viel mit Lektorenverträgen, was die Organisation aufwändiger macht. Auch bei der Berufung von Professuren sind wir gefordert, schließlich sind in den nächsten Jahren insgesamt 28 Lehrstühle zu besetzen. Es ist bereits möglich, sich an unserer Fakultät zu habilitieren. Eine Gruppe von Medizinerinnen und Medizinern aus verschiedenen oberösterreichischen Spitälern bereitet sich derzeit darauf vor.
Wie steht es um die medizinische Forschung am Standort Linz?
Es gab bereits vor der Gründung unserer Fakultät etliche Kolleginnen und Kollegen, die am Standort Oberösterreich wissenschaftlich aktiv und darin sehr gut waren. Nun ist der Bedarf natürlich viel größer, aber auch die Voraussetzungen sind viel besser. Das Zentrum für Medizinische Forschung bietet eine optimale Infrastruktur, jetzt auf 1500 Quadratmetern, im neuen Campus dann auf einer mehr als doppelt so großen Fläche. Wir sind als Fakultät auch gut vernetzt, seit Jahresanfang zum Beispiel als Mitglied im Biobanking-Netzwerk. Das Land Oberösterreich fördert außerdem gemeinsame Leuchtturmprojekte. Ein weiteres Ziel ist es, forschungsaktive Kolleginnen und Kollegen auch außerhalb des Kepler Universitätsklinikums einzubinden.
„Wir sind als Fakultät sehr gut vernetzt, seit Jahresanfang zum Beispiel als Mitglied im Biobanking-Netzwerk.“
Und wie steht es um den wissenschaftlichen Nachwuchs?
Auch das ist uns ein großes Anliegen. Im Herbst startet das neue Programm „Linz Clinician Scientist“, das für angehende Fachärztinnen und -ärzte am Kepler Universitätsklinikum die Voraussetzungen schafft, im Rahmen eines PhD-Doktoratsstudiums klinische und wissenschaftliche Laufbahn zu kombinieren. Es bietet eine vertiefte wissenschaftliche Fortbildung mit geschützten Forschungszeiten und Mentoring. Darüber hinaus gibt es das Programm „Advanced Clinician Scientist“ für wissenschaftlich ambitionierte Fachärztinnen und Fachärzte, die Leitungsfunktionen anstreben und eigene klinische Forschungsprojekte etablieren möchten.
Bei der Gründung der Medizinischen Fakultät wurde erklärt, sie solle zum Nukleus eines „Medical Upper Austria“ (MED UP) werden, zusammen mit den anderen Fakultäten der JKU, der Spitalslandschaft und der medizinnahen Wirtschaft. Wie weit ist man heute auf diesem Weg?
Wir stehen noch am Anfang dieses Zukunftsprojekts. Aber wir sind auf einem guten Weg, diese Vision mit Leben zu erfüllen.
Interview: Josef Haslinger

Andrea Olschewski, Univ.-Prof. DDr.
Vizerektorin für Medizin, Dekanin der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz
Andrea Olschewski studierte Medizin an der Universität Debrecen (Ungarn) und an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Deutschland), wo sie auch ihre Facharztausbildung für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie absolvierte und sich im Fach Anästhesiologie habilitierte. Nach einem zweijährigen Forschungsstipendium an der Universität von Minneapolis (USA) wurde sie 2005 als Universitätsprofessorin für Anästhesiologie (Schwerpunkt Experimentelle Anästhesiologie) an die Medizinische Universität Graz (MUG) berufen. Dort hat sie u. a. das internationale PhD-Doktoratsstudium aufgebaut, war Direktorin des Ludwig Boltzmann Instituts für Lungengefäßforschung sowie Vorständin des Instituts für Physiologie und ist bis heute Mitglied des Senats der MUG. Seit August 2017 ist Andrea Olschewski Vizerektorin für Medizin der JKU Linz. Sie ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, gibt federführend Guidelines heraus und ist mit mehr als 100 Publikationen in internationalen Journalen vertreten.