„Wir werden an einer verstärkten Spezialisierung nicht vorbeikommen“
Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung besagt, dass durch die Schließung von mehr als jedem zweiten deutschen Krankenhaus die Patientenversorgung erheblich verbessert werden könnte. Im Interview nimmt Jan Böcken von der Bertelsmann Stiftung zur Studie und der enormen Aufregung darüber Stellung.
Wer hat die Studie erarbeitet und was genau sorgt jetzt – besonders in Deutschland – für so große Aufregung?
Jan Böcken: Die Bertelsmann Stiftung hat die führenden deutschen Krankenhausexperten gebeten, ein Bild der zukünftig wünschenswerten Versorgung zu entwickeln. Die Frage war, wie eine Kliniklandschaft in Deutschland aussehen könnte, die sich nicht an schneller Erreichbarkeit, sondern ausschließlich an definierten Qualitätskriterien orientiert. Das wichtigste Ergebnis der Studie lautete, dass eine Schließung von mehr als fünfzig Prozent vor allem kleinerer Häuser die Qualität der Versorgung stark verbessern würde. In einem zweiten Schritt hat das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, abgekürzt IGES, berechnet, wie sich diese Kriterien in einer konkreten Region auswirken würden.
Was wurde in der IGES-Studie genau untersucht?
Die Simulation in der Studie hat anhand der Modellregion Köln/Leverkusen mit insgesamt 38 Akutkrankenhäusern und 2,3 Millionen EinwohnerInnen berechnet, wie hoch der Behandlungsbedarf im Jahr 203o sein wird. Ein wichtiger Aspekt dabei war die sogenannte „Ambulantisierung“. Dies betrifft vor allem jene Diagnosen, die vorrangig ambulant behandelbar oder durch Prävention vermeidbar wären, also nicht vorrangig im Krankenhaus therapiert werden müssten.
Außerdem wurde die Erreichbarkeit in die Berechnung miteinbezogen. Derzeit beträgt die mittlere Fahrzeit in eine Klinik in der Region 16 Minuten. Eine Konzentration auf 14 Kliniken, die auch HerzinfarktpatientInnen versorgen würden, erhöht die Fahrzeit im Durchschnitt minimal, weil in den Ballungsräumen heute sehr viele Menschen nahe an einer Klinik leben. Allerdings stiege natürlich der Anteil der Menschen etwas, die länger als 30 Minuten Fahrzeit in ein Haus der Regelversorgung benötigen.
Die Präsentation der Ergebnisse hat in Deutschland für großes Aufsehen gesorgt. So sprach etwa der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, in einer Aussendung wörtlich von einer „Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß“ – was entgegnen Sie als Vertreter der Bertelsmann-Stiftung?
Viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik verfügen häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Erkrankungen, wie beispielsweise Herzinfarkt und Schlaganfall lege artis zu therapieren. Das ist besonders für kleine Häuser ein Problem. In der Studiensimulation der Region Köln/Leverkusen, mit derzeit 38 Akutkrankenhäusern präsentiert sich das folgendermaßen: Eine Konzentration auf insgesamt 14 Kliniken würde die Versorgung verbessern, weil dann eine bessere Ausstattung mit Geräten und vor allem dem knappen Fachpersonal erreicht werden kann.
"Es nützt einem Patienten nichts, wenn er bei einem Schlaganfall innerhalb von 30 Minuten in einer Klinik ankommt, dort aber keine Stroke Unit zur Optimalversorgung vorhanden ist."
Die einzelnen Häuser wären dann aber natürlich größer und müssten mehr Fälle behandeln, um auch bei seltenen Indikationen genug Erfahrung zu sammeln. Dies lässt sich nicht ohne Emotionen betrachten, da viele Menschen gerade in ländlichen Regionen fürchten, ihre medizinische Infrastruktur zu verlieren. Ich verweise hier auf ein Zitat des deutschen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn aus dem aktuellen Manager-Magazin, der darin betont, dass „ein Krankenhaus vor Ort für viele Bürger ein Stück Heimat ist“, und das bleibt natürlich nicht ohne Einfluss auf eine Diskussion rund um eine notwendige Konzentration der deutschen Spitalslandschaft. Es nützt einem Patienten jedoch gar nichts, wenn er bei einem Schlaganfall innerhalb von 30 Minuten in einer Klinik ankommt, dort aber keine Stroke Unit zur Optimalversorgung vorhanden ist.
Wenn eine solche Krankenhauskonzentration durchgeführt wird, muss die ländliche Bevölkerung dann um ihre alltägliche medizinische Versorgung fürchten?
Ganz und gar nicht. Die Studienautoren betonen sogar ausdrücklich, dass es nicht darum geht, Krankenhäuser einfach ersatzlos zu schließen. Vielmehr sollte an diesen Standorten die ambulanten Versorgungsstrukturen weiter ausgebaut werden, um die ambulante Versorgung in der Region zu verbessern.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus der Studie?
Wir werden an einer verstärkten Spezialisierung unserer Kliniklandschaft nicht vorbeikommen, wenn eine sehr gute medizinische Versorgung der Bevölkerung auch in Zukunft gewährleistet bleiben soll. Hohe Qualitätsstandards können zukünftig sicherlich nur in spezialisierten Kliniken erfüllt werden.
Interview: Sabine Fisch

Jan Böcken, Dr.
Senior Project Manager, Bertelsmann Stiftung
Der promovierte Politikwissenschaftler hat seine Arbeitsschwerpunkte im Bereich Spezialisierung und Zentralisierung der Patientenversorgung