Lernfähige Maschinen zum Angreifen
Künstliche Intelligenz wird unsere Gesellschaft massiv verändern. Damit es eine Begegnung auf Augenhöhe wird, braucht es den persönlichen Berührungspunkt, sagt Gerfried Stocker. Den liefert der Kreativ-Chef der Ars Electronica mit der neuen Ausstellung „Understanding AI“.
Die Menschenähnlichkeit ist verblüffend. Sie zwinkert, schaut einen verdutzt an, lächelt. Die Roboterbüste SEER (Simulative Emotional Expression Robot)vom japanischen Künstler Takayuki Todo wird mit dem Gesichtsausdruck ihres Gegenübers gefüttert und lernt auf die Mimik zu reagieren. Sie ist Teil der neuen Ausstellung „Understanding AI“ im Ars Electronica Center in Linz. Was auf viele Besucher wie Science Fiction wirkt, entspricht in Wahrheit dem aktuellen Stand der Technologie. Dem Besucher wird sehr schnell klar, dass Künstliche Intelligenz kein Modehype, sondern aus gutem Grund so populär ist.
Die Entwicklung, die lernfähige Maschinen in den letzten Jahren hingelegt haben, sind enorm. In demselben Maß wird sich auch unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren verändern, ist Gerfried Stocker überzeugt. Er ist künstlerischer Leiter des Ars Electronica Centers und kuratiert gemeinsam mit seinem Team die Ausstellungsprojekte. Das Untergeschoss des Museums wurde neu gestaltet und fasst nun die Themenbereiche KI, Globaler Wandel und Biotechnologie unter dem Titel „Compass – Navigate The Future“ zusammen.
Bessere Diagnosen dank Algorithmus
Jeder bevorstehende Wandel ist mit Ängsten, Fragen und Hoffnungen der Menschen verbunden und bietet Raum für Spekulationen über die Zukunft. Die Ausstellung soll dazu beitragen, ein breites Publikum für das Thema zu interessieren und fit zu machen für die ethischen Diskussionen, die vermehrt auf uns zukommen werden. „Je mehr wir uns mit dem Thema und den künftigen Möglichkeiten auseinandersetzen, umso mehr werden wir zur öffentlichen Diskussion beitragen können“, sagt Stocker.
"Wie sich gezeigt hat, kann der Algorithmus die präziseren Diagnosen stellen, da er weitaus mehr Informationen verarbeiten und analysieren kann als der Mensch", meint Gerfried Stocker, Kreativ-Chef der Ars Electronica.
Da der Gesundheitsbereich sehr technologiegetrieben ist, werden die Veränderungen hier enorm sein. Wie die Ausstellung zeigt, ist Software schon jetzt in der Lage, gute Texte zu schreiben. Genauso werden Diagnosen künftig von KI-basierter Software gestützt sein, erklärt Stocker. „Wie sich gezeigt hat, kann der Algorithmus die präziseren Diagnosen stellen, da er weitaus mehr Informationen verarbeiten und analysieren kann als der Mensch.“ Für Empathie und soziale Interaktion, die im Umgang mit Patienten genauso wichtig sind, sieht er die Position des Menschen in Zukunft genauso zentral wie jetzt.
Die Gen-Schere im Selbstversuch
Anfang des Jahres sorgte die Meldung über die ersten genetisch veränderten Babys für empörte Schlagzeilen. Der chinesische Forscher He Jiankui von der Southern University of Science in Shenzen hat die durch künstliche Befruchtung gezeugten Zwillinge mithilfe der Gen-Schere CRISPR gegen den Aids-Erreger HIV immun gemacht. Im Bio-Lab der Ars Electronica können Besucher jetzt genau das ausprobieren: ihre DNA extrahieren, begutachten und Sequenzen mit der Gen-Schere verändern.
Eine praktische Übung, die das Prinzip Genome-Editing veranschaulicht und den Besuchern durch die Auseinandersetzung die Möglichkeit gibt, dieses Thema künftig aktiv mitzugestalten. Dass es schon bald ein großes Thema für die Gesellschaft sein wird, daran zweifelt Stocker nicht, im Gegenteil. „Das Verändern bestimmter Sequenzen der menschlichen DNA unter gewissen Auflagen und ethischen Richtlinien wird irgendwann so normal sein wie die Einnahme von Penicillin oder Antibiotika.“
Technisch ist das Genome-Editing bereits möglich, allerdings können die Risiken noch zu wenig abgeschätzt werden. Die weitaus größere Hürde sieht Stocker im mangelnden Vertrauen diesem Bereich gegenüber. „In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Themen Gentechnik und Pharma vorwiegend negativ besetzt“, die Frage sei, so Stocker, ob der gesellschaftliche Wandel mit dem technologischen Schritt halten könne.
Wem gehört der digitale Zwilling?
Im Krankenhaus von morgen wird die Digitalisierung voll angekommen sein. Der digitale Zwilling des Patienten wird einen großen Fortschritt bringen, da sind sich die Mediziner einig. Durch das Zusammenwirken individueller Daten, die zum einen von Apps und Smart Devices kommen, zum anderen von der Genomsequenzierung, können Behandlungen und etwaige Risiken künftig besser abgeschätzt werden. Für die personalisierte Medizin wären damit beste Voraussetzungen geschaffen. „Der gläserne Mensch ist in der Medizin eine großartige Sache“, pflichtet Stocker bei und verweist zugleich auf das große Fragezeichen der Datenhoheit. „Überspitzt gesagt geht es auch um die Frage: Wird das Krankenhaus von morgen das Logo von Apple oder Google tragen?“
Wie sich schon jetzt abzeichnet, werden vermehrt branchenfremde Player in den Markt drängen und darum buhlen, wer den digitalen Zwilling bereitstellen wird. Den deutlichen Vorsprung, den die USA und China beim Investitionsvolumen im Bereich Digitalisierung haben, sieht Stocker entspannt. Europa habe ein großes Innovationspotenzial und in Sachen ethischer Standards die Nase vorn. „Amerika hat den Daten-Kapitalismus, China den Daten-Totalitarismus und Europa kann sich mit einem Daten-Humanismus positionieren“, so Stocker. Nicht umsonst habe sich der US-Bundesstaat Kalifornien bei seinem neuen Datenschutzgesetz an der DSGVO Europas orientiert.
Text: Gertraud Gerst; Bilder: Ars Electronica /Florian Voggeneder, Robert Bauernhansl

Gerfried Stocker,
Künstlerischer Geschäftsführer der Ars Electronica
Der Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik ist seit 1995 künstlerischer Geschäftsführer von Ars Electronica. Mit einem kleinen Team entwickelte er die neuen Ausstellungsstrategien und baute eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf. Stocker ist Gastredner auf zahlreichen internationalen Konferenzen und Gastprofessor der Deusto University Bilbao.