Ärztemangel macht auch vor der Notfallmedizin nicht halt
Die prähospitale Notfallmedizin ist im europäischen Vergleich mehr als konkurrenzfähig, obwohl nach Ansicht vieler Experten die notärztliche Ausbildung längst nicht mehr zeitgemäß ist. Daran hat auch die neue österreichische Ärzteausbildung, die 2015 in Kraft trat, nichts geändert. Im Gegenteil: Die Verschärfung des Arbeitszeitgesetzes hat das Defizit bei den Notärzten noch verschärft, denn der Medizinermangel trifft jene Fachgebiete am meisten, die ein wenig attraktives Arbeitsumfeld zu bieten haben. Die ÖGARI, die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin hat als notfallmedizinische Fachgesellschaft bereits im Jahr 2016 für das Gesundheitsministerium fachliche Kriterien erarbeitet, unter denen notärztliche Tätigkeit auch für Assistenzärzte möglich wäre. Seither wird versucht, mit dem Gesundheitsministerium und der österreichischen Ärztekammer eine geeignete rechtliche Basis zu finden. Eine Lösung liegt noch nicht auf dem Tisch, das Thema bleibt „heikel“, wie Dr. Michael Lang, Leiter des Referates für Notfallmedizin in der Österreichischen Ärztekammer, betont. Warum das so ist, erklärt er im Gespräch mit ingo-news.at.
Der Ärztemangel ist ein Thema zwischen Mythos und Realität. Wo befinden wir uns wirklich und wie sehr trifft es die Notärzte besonders hart?
Lang: Fakt ist, wir haben einen Medizinermangel, auch wenn das oft schöngeredet wird. Die Ursachen sind multifaktoriell, daher auch nicht eindimensional lösbar. Die Alterspyramide ist keine Erfindung der Ärztekammer. Wir wissen, dass immer mehr Ärzte in Pension gehen, die Welle rollt erst langsam an. Das Arbeitszeitgesetz in den Krankenanstalten hat auch dazu beigetragen, dass weniger Personal für die Patientenversorgung da ist. Der Druck steigt merklich. Bei den Notärzten spüren wir das an vielen Ecken. Nicht nur, dass zu wenige Notärzte eingesetzt werden können, auch müssen die, die draußen beim Patienten sind, oft Tätigkeiten übernehmen, die wirklich nichts mit den Aufgaben eines Notarztes zu tun haben. So geht es zum Beispiel um den Missbrauch der Notärzte als Totenbeschauer oder die Übernahme von Visiten überall dort, wo es einen Versorgungsmangel durch Allgemeinmediziner schon gibt. Dazu kommen viele Leerfahrten. Aktuell haben wir rund 23 % Fehleinsätze, die keiner notfallmedizinischen Intervention bedürfen. Notärzte dürfen nicht missbraucht werden, um die bestehenden Mängel im Systems auszugleichen. Wir brauchen nicht den viel zitierten Best Point of Service, sondern die „Best Person of Service“ – und das muss nicht immer ein Notarzt sein!
Warum hat die Ausbildungsreform hier nichts verbessert?
Wir hatten bis zur Ausbildungsreform viele Allgemeinmediziner, die während der Facharztausbildung als Notfallmediziner im Einsatz waren. Das geht aber nicht mehr, denn die Ausbildungen zum Facharzt und zum Allgemeinmediziner laufen parallel. Dieser Pool an Manpower ist einfach weg. Wir können jetzt keine Ärzte in Ausbildung einfach als Notärzte einsetzen, denn sie haben noch keine Berufsberechtigung. Auch ein Facharzt für Notfallmedizin ist keine Lösung dieses Problems, denn er steht auch nicht früher zur Verfügung und ist außerdem hochspezialisiert. Jetzt sind Internisten, Anästhesisten oder Chirurgen im Notfalleinsatz, die haben ein viel breiteres Spektrum in ihrer Ausbildung mitbekommen.
Welche Lösung ist jetzt realistisch?
Genau daran arbeiten das Ministerium und die Ärztekammer derzeit sehr intensiv und konstruktiv, aber die Meinungen gehen noch weit auseinander. Wir sind klar dagegen, dass hier ein vorzeitiges „jus practicandi“ als einfacher Ausweg gelten kann. Immerhin geht es hier um Haftungsfragen, die im schlimmsten Fall die Existenz bedrohen. Gleichzeitig wollen wir auch nicht, dass eine „Schmalspurausbildung“ für Notfallmedizin das Ergebnis ist. Das hilft den Ärzten nicht, den Patienten aber auch nicht.
Dr. Michael Lang, ist Leiter des Referates für Notfallmedizin in der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der Ärztekammer Burgenland
BILD: ÖAK/Leopold