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Gesundheit
Österreich
11.08.2022

"Der Umgang mit Sterbenden spiegelt unser Bild vom Menschen!"

Die meisten Österreicher*innen möchten nicht in einem Krankenhaus sterben – doch dieser Wunsch bleibt für fast die Hälfte von ihnen unerfüllt. Der Umgang mit Patient*innen und Angehörigen in dieser Phase des Abschieds ist eine Herausforderung, nicht nur für die Spitäler: Die Gesellschaft insgesamt muss sich mit dem Thema auseinandersetzen, sagt Thomas Pree, Leiter des Wertemanagements der Vinzenz Gruppe.

Der Tod im Krankenhaus ist für die Mehrheit der Österreicher*innen nicht das Wunschbild vom Lebensende. Sind die Vorbehalte berechtigt?

Thomas Pree: Man kann davon ausgehen, dass sterbende Patient*innen im Krankenhaus medizinisch und pflegerisch gut versorgt sind und dass diese Versorgung vielfach unerlässlich ist. Darüber hinaus brauchen sterbende Menschen und ihre Angehörigen auch Begleitung. Es geht um Rahmenbedingungen und Ressourcen, um einen Abschied in Würde zu ermöglichen. Ich finde, dass in unseren Einrichtungen eine würdevolle „Sterbekultur“ gepflegt wird. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass darauf mehr Wert gelegt wird – eine Antwort darauf, dass immer mehr Menschen nicht daheim sterben.

Meinen Sie damit die Hospiz- und Palliativversorgung? 

Die Hospiz- und Palliativkultur spielt eine entscheidende Rolle, und es ist erfreulich, dass das Bewusstsein dafür wächst. Es wird mehr und mehr erkannt, dass es ein tiefes menschliches Grundbedürfnis ist, die existenzielle Erfahrung des Sterbens in einer angemessenen, stimmigen Atmosphäre zu machen. Da sind wir in Österreich inzwischen auf einem guten Weg, auch wenn es finanziell und personell noch Optimierungsbedarf gibt. Ebenso wichtig ist aber, dass dieser Tatsache nicht nur auf den Palliativstationen Rechnung getragen wird, sondern im gesamten Klinik- bzw. Pflegeheimalltag. Der bewusste, aufmerksame und achtsame Umgang mit Sterben und Trauer ist für die Häuser der Vinzenz Gruppe Teil unseres christlichen Profils. Darin spiegelt sich unser Bild vom Menschen und seiner Würde wider.

Wie zeigt sich das konkret? 

Durch eine Vielzahl von Maßnahmen, gruppenweit und in den einzelnen Häusern. Im Mittelpunkt steht das Bemühen, sich für Sterbende und Angehörige Zeit zu nehmen und hellhörig zu sein für ihre Bedürfnisse. So versuchen wir beispielsweise immer, für Patient*innen im Sterbeprozess ein Einzelzimmer oder zumindest einen intimen, separierten Bereich zur Verfügung zu stellen. Das ist situationsbedingt nicht immer einfach, aber wir setzen alles daran, gute Lösungen zu finden. Durch ein gutes Rufsystem sind Seelsorger*innen fast überall rund um die Uhr verfügbar. Uns ist auch wichtig, den Angehörigen Zeit zur Verabschiedung von Verstorbenen zu geben und ihnen dabei Begleitung anzubieten. Auf jeder Station findet sich eine Box mit Utensilien, die in dieser Situation hilfreich sein können, von Texten und Kerzen bis zu Handreichungen für die Mitarbeitenden. Schließlich ist auch für sie bei aller Routine der Tod nichts Alltägliches – und soll es auch nicht werden.

Wie wird das Thema den Mitarbeitenden vermittelt? 

Es gibt unterschiedliche Angebote, die Mitarbeiter*innen dafür zu sensibilisieren, beginnend bereits in der Ausbildung bis hin zu seelsorglichen Fortbildungen. Auch ohne explizite Schulungen wird diese „Sterbekultur“ in den Teams gepflegt und von erfahrenen Mitarbeitenden an neue Kolleg*innen weitergegeben. Auf bestimmten Stationen, wo naturgemäß mehr sterbende Patient*innen betreut werden, haben sich eigene „Rituale“ entwickelt, um das Thema zu reflektieren, etwa regelmäßige Teambesprechungen mit Beteiligung der Seelsorge. Aktuell arbeiten wir daran, ein E-Learning-Modul zur Selbstreflexion anzubieten.

Manche Menschen haben auch Angst davor, im Krankenhaus „übertherapiert“ zu werden und damit nicht nach natürlichen Abläufen sterben zu dürfen. Zu Recht?

Im Mittelpunkt muss immer die ehrliche Frage stehen: Was braucht dieser Mensch im Sterbeprozess, was sichert in dieser Phase größtmögliche Lebensqualität, was hilft ihm jetzt? Ich glaube, dass auch bei Mediziner*innen das Bewusstsein für das Zulassen eines „natürlichen“ Todes heute stärker ausgeprägt ist als früher, wo es Tendenzen gab, dass der Tod gewissermaßen eine ärztliche Niederlage sei. Nicht selten sind es aber auch die Erwartungen von Patient*innen und Angehörigen, die in Richtung maximaler Therapie gehen. Das sind sehr individuelle, zutiefst persönliche Fragen und Entscheidungen.

"Ich glaube, dass auch bei Mediziner*innen das Bewusstsein für das Zulassen eines "natürlichen" Todes heute stärker ausgeprägt ist als früher."

Ist es nicht so, dass viele Menschen froh sind, wenn das Thema Tod ins Krankenhaus ausgelagert und damit aus dem Alltag verdrängt wird? 

Es gibt tatsächlich einen gewissen Trend, Menschen in der letzten Lebensphase sozusagen zum Sterben ins Krankenhaus zu schicken. Es ist eine Frage der Ressourcen in den Pflegeheimen. Es ist verbunden mit der Sorge, Vorwürfe zu bekommen, nicht alles versucht zu haben. Es ist auch das Nicht-Akzeptieren-Können, dass es soweit ist. Das ist für Krankenhäuser zweifellos eine Herausforderung in der Kooperation mit Zuweiser*innen, Alten- und Pflegeheimen. Letztlich muss sich aber die Gesellschaft insgesamt der Diskussion stellen, wie sie es mit dem natürlichen Tod und der Rolle der Medizin in diesem terminalen Lebensabschnitt hält. Diesen Diskurs sollten wir führen, aus unserem Verständnis vom Menschsein und dessen hohem Stellenwert heraus. 

Sie hatten auch selbst lange Zeit in der Spitalsseelsorge mit sterbenden Menschen zu tun. Was waren dabei ihre prägenden Eindrücke?  

Persönlich habe ich aus diesen Begegnungen mitgenommen, wie einmalig und wertvoll das Leben eines Menschen ist. Und ich habe erlebt, wie dankbar Menschen für Berührungen, Blicke, Beziehung in jeder Form sind und welcher Frieden dadurch möglich wird. Es liegt so viel Kraft und Freude darin, es jetzt schon zu tun.

Text: Josef Haslinger; Foto: depositphotos.com

Thomas Pree, Mag.

Leitung Zentralbereich Wertemanagement der Vinzenz Gruppe

Pree studierte Theologie und vertiefte sich in verschiedenen Lehrgängen in systemisches Management. Nach seiner 20 jährigen Tätigkeit als Religionslehrer, Seelsorger sowie Leiter der Pfarren Mauthausen und Mitterkirchen wurde er Leiter der Krankenhausseelsorge im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern. Seit 2018 leitet er den Zentralbereich Wertemanagement der Vinzenz Gruppe.

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