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Gesundheit
Österreich
29.06.2022

„Die verbleibende Zeit so lebenswert wie möglich gestalten!“

Das St. Barbara Hospiz in Ried ist für schwerkranke Menschen ein Zuhause in ihrer letzten Lebensphase. „Ein buntes Haus, in dem nicht nur geweint, sondern auch gelacht wird“, sagt Nadine Guntner. Sie leitet dieses zweite stationäre Hospiz in Oberösterreich, das seit Februar in Betrieb ist und nun offiziell eröffnet wurde.

Neben dem St. Barbara Hospiz in Linz gibt es nun auch in Ried einen Standort. Wer steht dahinter? 

Nadine Guntner: Die St. Barbara Hospiz GmbH wird von den Barmherzigen Brüdern, den Elisabethinen Linz-Wien, dem Roten Kreuz Oberösterreich und der Vinzenz Gruppe getragen, die ihre Kompetenz und Erfahrung im Hospizbereich einbringen. Die Finanzierung erfolgt durch das Land Oberösterreich. Mit der Eröffnung im Februar wurde die letzte Lücke in der Versorgung schwerkranker Menschen in dieser Region geschlossen, als Ergänzung zur Palliativstation in Ried und den mobilen Palliativ- und Hospizdiensten.

Das Hospiz befindet sich auf dem Areal des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Ried, wo es die bestehende Palliativstation auch weiterhin geben wird. Was unterscheidet diese beiden Einrichtungen? 

Ziel einer Palliativstation ist es, die Patient*innen mit gut eingestellten Symptomen wieder zu entlassen. Das Hospiz ist dagegen für die Bewohner*innen die letzte Lebensstätte, insbesondere für Menschen, die keine Akutbehandlung benötigen, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in ihrem persönlichen Wohnumfeld betreut werden können. Für sie wollen wir die verbleibende Lebenszeit so angenehm und lebenswert wie möglich gestalten. Wir sind aber eng mit Palliativstationen vernetzt, selbstverständlich in Ried und auch trägerübergreifend zum Beispiel mit dem Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck. Viele unserer Bewohner*innen kommen von Palliativstationen, und man hilft uns dort aus, wenn bei uns kurzfristig keine Aufnahme möglich ist. Unser Haus verfügt über sechs Zimmer. Ob und wann eines frei ist, lässt sich naturgemäß nicht planen.

Es würden also mehr Hospizkapazitäten gebraucht? 

Ja, derzeit kommt es zu Wartezeiten. Unser Einzugsgebiet umfasst neben dem Innviertel auch Nachbarbezirke bis ins Salzkammergut. Der Regionale Strukturplan Gesundheit 2025 sieht für Oberösterreich einen weiteren regionalen Ausbau vor. Dann wird die wohnortnahe Hospizversorgung gut aufgestellt sein. Dazu kommt, dass künftig auch kleinere Krankenhäuser Palliativeinheiten erhalten sollen.

Wer entscheidet über die Aufnahme ins Hospiz? 

Voraussetzung für die Aufnahme ist, dass zuvor bereits eine spezialisierte Versorgung erfolgt ist, durch mobile Hospizteams oder in einer Palliativstation. Letztlich treffe ich die Entscheidung, aber in den meisten Fällen in Abstimmung mit unseren Palliativmediziner*innen.

Wie werden die Bewohner*innen im Hospiz versorgt? 

Die Bedürfnisse der Menschen sind vielfältig, daher ist unser Team multiprofessionell. Wir sind 16 Leute – Pflegekräfte des gehobenen Dienstes, Fachsozialbetreuer*innen, Pflegeassistent*innen, Sozialarbeiter*innen. Unterstützt werden wir bei Bedarf von Ärzt*innen, Psycho- und Physiotherapeut*innen, Seelsorger*innen und anderen Berufsgruppen aus dem Krankenhaus sowie durch ehrenamtliche Mitarbeiter*innen des Roten Kreuzes, die den Bewohner*innen vor allem ihre Zeit schenken. Wir haben auch die Ausstattung etwa für Schmerztherapie oder für parenterale Ernährung, wenn dies notwendig und sinnvoll ist. Hochapparative Behandlung findet man bei uns aber nicht. Und wir sind auch kein Haus, in dem – um es überspitzt zu formulieren – alle schwarz gekleidet sind und ständig weinen. Ja, bei uns wird geweint, aber auch gelacht. Unser Haus ist auch bunt und fröhlich. Wir widmen uns vor allem dem Leben unserer Bewohner*innen. Sie und ihre Angehörigen stehen mit ihren individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt, wir achten ihre Autonomie.

"Ja, bei uns wird geweint, aber auch gelacht. Unser Haus ist auch bunt und fröhlich."

Gilt das auch für den assistierten Suizid, der ja seit kurzem gesetzlich neu geregelt ist? 

Das ist ein sehr schwieriges Thema. Wir könnten Bewohner*innen, die sich dazu entschließen, wohl kaum aus dem Haus verweisen – manche haben im Hospiz in ihren letzten Wochen ja sogar den Hauptwohnsitz und keine andere Wohnmöglichkeit mehr. Aber wir stellen unmissverständlich klar: Wir wünschen das nicht, und es gibt von uns keinerlei Unterstützung dabei. Eine Aufnahme im Hospiz ohne Erfüllung der eigentlichen Aufnahmekriterien mit dem alleinigen Ziel, einen assistierten Suizid durchzuführen, gibt es nicht. Die Frage ist vielmehr: Wo können wir ansetzen, um das existenzielle Leid zu mindern, das zu einem Suizidwunsch führt? Das gilt es zu erkennen, mit ganzheitlichem Blick.

Wie nehmen die Menschen im Innviertel das Hospiz wahr? 

Der Tod ist noch immer eines der großen Tabuthemen. Wir alle sind damit konfrontiert, und doch wollen sich die allermeisten nicht damit auseinandersetzen. Da braucht es noch viel Bewusstseinsbildung und Offenheit, um Berührungsängste abzubauen. Wir laden die Menschen ein, sich die Räumlichkeiten anzuschauen – am besten, wenn sie sie noch nicht brauchen. Wir laden auch Schulklassen ein, um zu vermitteln, dass der Tod zum Leben dazugehört. Und wir geben den Angehörigen viel mehr Zeit, um sich von Verstorbenen zu verabschieden, als dies im Akutbereich möglich ist.

Warum haben Sie persönlich sich für die Arbeit im Hospiz entschieden? 

Mein Vater ist mit 45 Jahren akut verstorben, wir hatten in dieser Zeit keinerlei Begleitung. Damals habe ich mir vorgenommen, für Menschen in schweren Situationen da zu sein. Ich habe seither viele Menschen sterben gesehen, auch viele junge Menschen. Das hat zweifellos etwas mit mir gemacht, und ich habe gelernt, das Leben täglich zu reflektieren. Aber ich habe auch gelernt, dass es ein Geschenk ist, Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleiten zu dürfen. Ich mache im Hospiz die Erfahrung, dass Bewohner*innen dankbar sind und sagen: Jetzt bin ich angekommen, jetzt ist es gut.

Haben Sie Angst vor dem Tod? 

Angst macht mir die Vorstellung, nicht so lange gesund zu bleiben, bis meine Kinder selbständig sind. Vor dem Tod habe ich keine Angst mehr.

Interview: Josef Haslinger; Fotos: Fotografie Viktoria Razesberger, depositphotos.com

Nadine Guntner, DGKP

Leiterin des St. Barbara Hospizes Ried

Guntner hat nach dem Gesundheits- und Krankenpflegediplom eine Ausbildung als akademische Pflegeexpertin in Palliative Care an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg absolviert. Die Innviertlerin war in der Hauskrankenpflege, in einem stationären Hospiz, in einem mobilen Palliativteam und zuletzt im Palliativ-Konsiliardienst des Klinikums Schärding tätig, ehe sie die Leitung des neuen St. Barbara Hospizes in Ried im Innkreis übernahm. Die 33-Jährige ist Mutter von zwei Söhnen.

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