„Wie schön, wie dynamisch, wie ungeheuer wichtig ist die Pathologie!“
Als Chefpathologe am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern leitet Farid Moinfar den Vinzenz Pathologieverbund mit 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Linz und Ried. Im Interview spricht er über die Faszination seines Faches, die „Vincent Academy of Pathology“ und Religiosität.
Man hört, Sie hätten „die größte und bedeutendste Pathologie des Landes“ – stimmt das?
Farid Moinfar: Das sollte niemand von sich behaupten. Wir sind sehr stolz auf unsere Leistungen, wir sind sicher eines der größten Institute in Österreich, aber es gibt wesentlich größere. Wir bearbeiten bis zu 85.000 histologische Proben und mehr als 40.000 zytologische Untersuchungen pro Jahr. Wir haben auch mehrere Arbeitsgruppen, die sich jeweils auf ein Thema spezialisiert haben, und bilden uns laufend weiter.
Als Pathologe arbeiten Sie allerdings nicht wie Professor Börne aus dem Münsteraner „Tatort“, stimmt‘s?
Nein, genau, so ist es nicht. In den USA gibt es den Sammelbegriff Pathologie, in Europa wird zwischen Pathologie und Gerichtsmedizin unterschieden. Bei vielen herrscht noch immer die Vorstellung vom Leichenarzt, der die Obduktion durchführt. Das ist weniger als fünf Prozent unserer Arbeit, und diese Vorstellung hat mit moderner klinischer Pathologie heutzutage überhaupt nichts zu tun. Stattdessen arbeiten wir mit dem Patienten – zwar nicht direkt, aber wir haben mit dem Schicksal der Patienten unglaublich viel zu tun. Stellen Sie sich vor, ein gutartiger Tumor, egal in welchem Organ, würde als bösartig diagnostiziert. Das würde die weitere Therapie völlig verändern. Die Pathologie wird immer komplexer, es werden verstärkt exakte Informationen verlangt. Früher reichte „gutartig oder bösartig“, aber heute muss es viel präziser sein.
"Die Pathologie wird immer komplexer, es werden verstärkt exakte Informationen verlangt."
Pathologie ist also die Basis für die Behandlung von Erkrankungen?
Das Faszinierende an unserer Arbeit ist das Forschen nach der Ursache von Krankheiten. Die Pathologie ist die Lehre der Krankheiten. Das ist nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern hat auch unmittelbar Einfluss auf die Therapie. Ein Beispiel: Als ich Medizin studiert habe, waren radikale Magenoperationen etwa bei Geschwüren gang und gäbe. Eines Tages hat ein Pathologe mit einem Mikroskop eine Theorie aufgestellt. Bei Magenbiopsaten entdeckte er „komische Bakterien“ und vermutete, diese hätten einen Zusammenhang mit Magenschmerzen und Magengeschwüren. Er wurde von allen Seiten ausgelacht, niemand nahm ihn ernst, weder Chirurgen noch Mikrobiologen, bis sich eines Tages ein junger Internist näher damit beschäftigte und nach einer intensiven Zusammenarbeit hat man erkannt, dass diese Bakterien sehr wohl die Ursache der Erkrankungen gewesen sein mussten. Die Folge war außerdem ein Nobelpreis für diese Entdeckung (Barry Marshall mit John Robin Warren, Anm.). Daraufhin ging die Zahl der Magenoperationen drastisch zurück, man behandelt die Bakterien nun mit Antibiotika und man weiß, wenn man nicht behandelt, hat ein Gutteil ein höheres Risiko für Magenkarzinome. Und das alles durch diese einfache Beobachtung! Davon gibt es genug Beispiele zu allen Organen. Dazu kann man natürlich auch Spezialuntersuchungen als wertvolle Ergänzung zur morphologischen Diagnose einsetzen. Somit kann man häufig eine solide Information für weitere Behandlungen liefern.
Der Vinzenz Pathologieverbund umfasst Linz und Ried. Welchen Vorteil hat dieser Zusammenschluss?
Die Patho-Institute der Krankenhäuser Ried und Linz wurden aufgrund der Spitalsreform zusammengeführt, das war eine politische Entscheidung, um Kosten zu sparen und zu rationalisieren. Es hat viele Vorteile, natürlich aber auch Limitationen, denn weniger Leute bedeutet ja nicht, dass die Arbeit weniger wird. Die Belastung kann dadurch extrem stark werden. Beim Materialeinkauf wiederum kann man gut kooperieren. Seit zwei Jahren leite ich den Verbund, und in beiden Häusern sind mit 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich unglaublich fähige Mannschaften mit viel Expertise tätig. Die Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen funktioniert sehr gut und wir schätzen einander.
Wie sind Sie selbst zur Pathologie gekommen?
Mich hat Biologie schon als Kind interessiert und ich wusste schnell, dass ich mich für Medizin entscheiden würde. Zuerst fand ich die Idee meines Vaters, nach Österreich zu gehen, gar nicht lustig, für mich kam vorerst nur ein englischsprachiges Land in Frage, Deutsch war völlig neu für mich. Er meinte nur: „Dann lernst du es eben!“ Und er hatte absolut recht! 1984 kam ich von Teheran nach Österreich, habenach zwei Semestern in der Sprachschule mit dem Medizinstudium in Wien begonnen. Mich interessierte früh die Morphologie, daher lieh ich mir ein Mikroskop aus und untersuchte auch zuhause ein paar Schnitte. Kurz vor Studienende nutzte ich die Chance am Institut für Pathologie in Graz praktisch zu arbeiten und erkannte sehr schnell, dass mich die Pathologie am meisten reizte – einerseits, um die Erkrankungen besser zu verstehen, andererseits, um besser zu klassifizieren und eine vernünftige Therapiebasis zu liefern. Das war eine goldrichtige Entscheidung, die ich keine Sekunde danach bereut habe. Daher tut es mir persönlich weh, wenn viele Menschen falsche Vorstellungen von diesem Fach haben, denn sie haben keine Ahnung, wie schön, wie dynamisch, wie ungeheuer wichtig dieses Fach ist und welchen Beitrag es leistet!
Sie organisieren selbst einiges zur Weiterbildung?
Nach vielen Kursen habe ich bemerkt, wie groß der Bedarf an Weiterbildung ist. Wir haben 2016 die „Vincent Academy of Pathology“ gegründet, eine einzigartige internationale Fortbildungsplattform, die sehr gerne von Kolleginnen und Kollegen in Anspruch genommen wird. Da kommen etwa 80 bis 100 Pathologen aus mehr als 20 Ländern nach Linz und wir diskutieren die Beispiele interaktiv im Plenum durch. Das sind ungemein wertvolle Experten-Diskussionen. Allein heuer sind es acht internationale Kongresse in Linz. Damit können wir Wissenschaft, Lehre und Diagnostik perfekt miteinander verbinden. Und der Linzer Tourismusdirektor Georg Steiner freut sich auf Facebook über die Wertschöpfung von 4.000 Nächtigungen allein durch unsere Kongresse. An dieser Stelle möchte ich mich für die Unterstützung unseres Krankenhauses herzlich bedanken.

Dieser Teil Ihrer Arbeit richtet sich direkt an Pathologen. Welche Möglichkeiten gibt es aber, die Pathologie den Medizinstudierenden näher zu bringen?
Es ist unbestritten, dass Pathologie ein „Mangelfach“ ist.Ich glaube, das ist multifaktoriell bedingt. Eine Ursache ist sicher, dass Pathologie im Curriculum wie viele andere Mangelfächer nur sehr fragmentiert vorkommt. Die Studierenden werden nicht mit unserer Tätigkeit konfrontiert. Früher war es integrativer Bestandteil und ein Fach, in dem man intensiv begleitet von einem dreiwöchigen Praktikum lernen musste. Auch die Wertigkeit war eine andere. Das hat sich drastisch geändert. Man kommt nun im Studium leider auch dann weiter, ohne sich viel mit Pathologie zu beschäftigen. Pathologen können das nicht ändern, das muss auch auf universitärer Ebene passieren.
"Es ist unbestritten, dass Pathologie ein Mangelfach ist."
Natürlich sollten auch die Pathologen kritisch reflektieren. Vielleicht haben wir selbst etwas dazu beigetragen. Was haben wir getan, um diese faszinierende Arbeit publik zu machen? Daher sollte man offen sein, sich Zeit für die Studierenden nehmen, nicht immer mit den Obduktionen als Altlast beginnen, sondern zeigen, wie die moderne und klinisch-orientierte Pathologie in Wirklichkeit funktioniert. Als Beispiel kann man die interaktive Gefrierschnittuntersuchung, den Schnellschnitt, erwähnen, welche entscheidend für den weiteren Verlauf einer Operation ist. Das sollte man KPJ-Studierenden zeigen. Dazu muss man nichts konstruieren, nur zeigen, wie faszinierend unser Alltag ist und dabei mit falschen Vorstellungen aufräumen. Es ist bedauerlich, dass manchmal sogar unsere Kolleginnen und Kollegen in alte Vorstellungen verfallen. Wir müssen alle dazu beitragen, die Wertigkeit der Pathologie zu erhöhen und mehr PR dafür machen. Denn wenn in fünf bis zehn Jahren einige von uns in Österreich in Pension gehen werden, haben wir ein großes Problem.
Sie sind der erste muslimische Primar des Ordensklinikums Linz Barmherzigen Schwestern. Hat das Einfluss auf Ihren Berufsalltag?
Gute Frage. Ich glaube, alle Religionen können sowohl viel Positives als auch viel Unheil anrichten. Ich bin selbst kritisch den Weltreligionen gegenüber, respektiere sie aber. Schließlich ist niemand im Besitz der absoluten Wahrheit. Meine Einstellung ist vielmehr eine humanistische. Man sollte verstehen, was zu tun ist, um anderen Menschen zu helfen – das ist einfach meine Lebensphilosophie.
Bei meiner Bewerbung war ich nicht sicher, ob mein Religionsbekenntnis vielleicht als Störfaktor empfunden werden hätte können.Ich komme aus einem muslimischen Land mit vielen politischen Ebenen. Bei meinem Hearing habe ich das aber gleich selbst thematisiert. Und ich habe sofort gemerkt: Alle wollten höflich sein und hatten sich nicht zu fragen getraut, waren dann aber doch froh, dass ich es angesprochen und eines meiner Lieblingsgedichte aus Persien, den „Rosengarten“ von Saadi, vorgetragen habe:„Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht, als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht. Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder, dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider. Ein Mensch, der nicht die Not der Menschenbrüder rührt, verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt“.Wenn jemand so denkt, dann ist es in Wahrheit egal, ob man Christ ist oder Muslim oder Jude.
Dennoch war ich überrascht, als die positive Rückmeldung so schnell kam. Und für ein christliches Spital war das schon ein großer Schritt, ich hoffe, das bereut niemand! Ich freue mich jedenfalls sehr, hier zu sein. Es ist eine tolle Aufgabe und ein sehr gut geführtes Krankenhaus. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich innerhalb kürzester Zeit so wohl und so unterstützt fühlen werde.
Interview: Claudia Werner; Bilder: Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern

Farid Moinfar, Professor Dr.
Leiter des Instituts für Klinische Pathologie und Molekularpathologie im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern
Der gebürtige Iraner absolvierte im Jahr 1980 seine Matura mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt in Teheran. Vier Jahre später begann er sein Medizinstudium an der Universität in Wien, das er 1991 in Graz abschloss. Nach seiner Ausbildung zum Facharzt für Pathologie in Graz ging er für einen dreijährigen Forschungsaufenthalt nach Washington DC (USA), wo er ein Fellowship für Gynäkologische- und Mammapathologie annahm sowie als Research Scientist am Department of Gyn & Breast Pathology, Armed Forces Institute of Pathology (AFIP) tätig war. Seit 2014 leitet er das Institut für Klinische Pathologie und Molekularpathologie im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern.