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Gesundheit
Österreich
05.04.2019

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Abgangsstenose, Dyslipidämie, GIB oder Perikarderguss. Bei Arztbriefen sind Patienten oft mit ihrem Latein am Ende. Ein gemeinnütziges Internet-Portal übersetzt medizinische Befunde kostenlos in eine für Laien verständliche Sprache.

Ärzte schreiben und sprechen in ihrer eigenen Sprache. Müssten sie in allen Befunden jeden einzelnen Fachbegriff – von Acetabulumdach bis Zyanose – allgemeinsprachlich erklären, wäre das ein nicht zu bewerkstelligender Aufwand. Es wäre auch nicht zielführend, denn gerade die Fachsprache macht es Medizinern möglich, effizient und unmissverständlich miteinander zu kommunizieren.

Der Patient auf der anderen Seite, der nach einer Untersuchung seinen Befund in die Hand gedrückt bekommt, versteht oft kein Wort. Das Dokument wurde ja auch nicht für ihn, sondern für einen anderen Arzt verfasst. Dies führt beim Patienten nicht selten zu Angst und Ohnmacht. Durch das fehlende Wissen ist er oft nicht in der Lage, die richtigen Entscheidungen für seine Gesundheit zu treffen.

Mediziner-Latein im Klartext

Das Online-Portal http://washabich.dehilft dem Verständnis auf die Sprünge. Mithilfe eines Upload-Tools können Patienten auf der Website ihren anonymisierten Befund oder Arztbrief hochladen, der anschließend von Medizinstudenten in eine leicht verständliche Sprache samt Erklärung und veranschaulichendem Bildmaterial übersetzt wird. Dieses Service ist kostenlos und die Arbeit der Studierenden rein ehrenamtlich.

Gegründet wurde die Inititative „Was hab' Ich?“ im Jänner 2011 von zwei Medizinstudenten und einem Informatiker aus Dresden. Während ihres Studiums bekamen die angehenden Ärzte immer wieder Befunde von Freunden und Bekannten vorgelegt, die sie erklären sollten. „Sie dachten sich: Was machen eigentlich die Menschen, die keine Mediziner im Freundeskreis haben?“, berichtet Unternehmenssprecherin Beatrice Brülke. Kurze Zeit später ging die Plattform online.

Dass medizinische Befunde Erklärungsbedarf haben, zeigen die Zahlen. Seit dem Launch des Online-Services im Jahr 2011 wurden knapp 40.000 Befunde von mehr als 1.900 ehrenamtlichen Mitarbeitern in laienverständliches Deutsch übersetzt.

Der Medicus von morgen spricht Deutsch

Auch bei den Ärzten in spe stellt sich bei der Arbeit ein Lerneffekt ein. Christian Eiben, 25 Jahre, studiert an der Medizinischen Privatuniversität Paracelsus in Salzburg im 12. Fachsemester und ist seit Jänner 2019 bei "Was hab' ich?". Er hat bereits zehn Befunde für Patienten übersetzt, dabei sei ihm aufgefallen, „wie viele Begriffe und Sachverhalte, die mir als Mediziner trivial erscheinen, für die meisten Menschen nur schwer bis gar nicht verständlich sind“, sagt Eiben. „Außerdem wird man in der Medizin natürlich sehr darauf trainiert, möglichst viele Informationen in möglichst kurzer Form auszudrücken. In Patientengesprächen ist es aber oft hilfreich, wenn man pro Satz nicht mehr als eine Information angibt.“ Im Alltag mit den Patienten ließen sich die erlernten Umschreibungen für komplexe Sachverhalte gut anwenden, weshalb er auch anderen Medizinern zu dieser sprachlichen Schulung rät.

Seit 2014 bietet „Was hab ich?“ entsprechende onlinebasierte Kommunikationskurse für Medizinstudenten an, die sich bereits an einigen deutschen Universitäten etabliert haben. Aber auch Studenten aus Österreich können an dieser Ausbildung via E-Learning und telefonischer Supervision teilnehmen. Der Kurs ist kostenlos und wird mit einem Zertifikat abgeschlossen.

Automatisierte Software für Kliniken

Im täglichen Klinikbetrieb ist der Arbeitsdruck groß und keine Zeit für lange Erklärungen. Damit Patienten nach einem stationären Aufenthalt nicht ahnungslos nachhause geschickt werden, hat das Unternehmen nun eine Software entwickelt, die individuelle Patientenbriefe automatisiert erstellt. Darin erfährt der Klient seine laienverständliche Diagnose, und was er selbst tun kann, um seine Gesundheit zu fördern. In wenigen Wochen soll die Software erstmals in einer Klinik eingesetzt werden.

Gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung entwickelte das Social Business zudem ein umfassendes digitales Medizin-Lexikon. Im Gegensatz zu anderen Glossaren werden auf https://befunddolmetscher.demedizinische Fachbegriffe im Kontext einer spezifischen Körperregion und eines ausgewählten Untersuchungsverfahrens erklärt. Das Pilotprojekt wurde zunächst für CT-, MRT- und Röntgenuntersuchungen von Wirbelsäule, Hüfte und Knie gestartet.

Österreich schickt Patienten auf die Uni

Dass Patienten, die mehr wissen, bessere Heilungschancen haben, hat man auch in Österreich erkannt. 2013 wurde im Zuge der Gesundheitsreform die Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK) ins Leben gerufen. Neben Aufklärungskampagnen, die Patienten dazu bringen soll, beim Arztbesuch die richtigen Fragen zu stellen, können sich Betroffene auch beim populärwissenschaftlichen Mini Med-Studium über ihre Krankheit schlau machen.

http://minimed.at

Text: Gertraud Gerst, Bild: David Pinzer

Bildtext: Das „Was hab' ich?“-Team (von links): hinten: Ariane Schick-Wetzel, Beatrice Brülke, Franziska Mettke; vorne: Anne Klinkenberg, Ansgar Jonietz

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