„Die pflegebedürftigen Alten – das werden schon bald wir sein!“
SoNe-Geschäftsführer Martin König über den zunehmenden Personalmangel in der Altenpflege, die gute Konjunktur als Teil des Problems und die dringende Notwendigkeit, Pflege zu einem Top-Thema zu machen.
Ist der Pflegenotstand in Oberösterreichs Alten- und Pflegeheimen angekommen?
Wir haben keinen Notstand, aber es gibt zweifellos einen Mangel an Pflegepersonal. Und die Entwicklung ist ernst, denn die Lücke wird größer. In den oberösterreichischen Heimen stehen bereits Heimplätze wegen fehlender Fachkräfte leer.
Warum ist das so?
Die demografische Entwicklung trifft uns von zwei Seiten: Durch die höhere Lebenserwartung steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, zugleich gibt es weniger junge Menschen insgesamt und damit auch weniger Nachwuchs für die Pflegeberufe. Das kommt ja nicht überraschend, diese Entwicklung gibt es schon seit Jahren in ganz Europa, und sie ist überall eine enorme Herausforderung. Paradoxerweise wird die Situation auch dadurch verschärft, dass wir in Oberösterreich Vollbeschäftigung haben, denn der Zustrom zu Pflegeberufen erfolgt azyklisch zum Arbeitsmarkt. Derzeit sucht jede Branche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und steht damit in Konkurrenz zur Pflege.
Ist die Arbeit in Alten- und Pflegeheimen zu wenig attraktiv, ist sie zu schlecht bezahlt?
Nicht unbedingt. Es gibt sicher auch bei der Bezahlung Stellschrauben, an denen man drehen müsste, um der speziellen Verantwortung in diesem Bereich gerecht zu werden. Vor allem aber gilt es Rahmenbedingungen sicherzustellen, damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege weiterhin gesund, motiviert und gerne arbeiten können. Es ist wichtig, Menschen für die Pflege zu begeistern, genauso wichtig ist es aber, dem bestehenden Personal zu ermöglichen, lange und mit Freude im Beruf zu verbleiben.
Welche Fachkräfte fehlen besonders?
Fachsozialbetreuerinnen und -betreuer Altenarbeit sind derzeit am Arbeitsmarkt stark nachgefragt, aber auch diplomiertes Personal wird laufend gesucht. Die Reform des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes bringt zusätzliche Herausforderungen, weil sich die Kompetenzen und damit die Aufgaben künftig auf vier statt bisher drei Berufsgruppen verteilen, also diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Fachsozialbetreuer Altenarbeit, Pflegefachassistenten und Heimhelfer. So werden z. B. manche Tätigkeiten, die bisher dem Diplompersonal vorbehalten waren, zu Pflegefachassistenten verschoben, deren Ausbildung flächendeckend aber gerade erst begonnen hat. Für die Umsetzung der Neuverteilung von Aufgaben und Kompetenzen braucht es noch einige Klarstellungen.
Was halten Sie von einer Pflegelehre, wie sie ja momentan wieder in Diskussion ist?
Tatsache ist, dass die Gesundheits- und Sozialberufe der einzige Bereich sind, wo nach der Pflichtschule kein direkter Übergang möglich ist. Wir brauchen etwas, das interessierten Jugendlichen den Einstieg sofort nach der 9. Schulstufe ermöglicht, nicht erst ein Jahr später – wie man dieses Angebot dann nennt, ist sekundär. Ich wünsche mir eine sachliche Diskussion zu diesem Thema und konstruktive Vorschläge für eine schrittweise Heranführung junger Menschen an die Pflege.
Sind Alten- und Pflegeheime womöglich ein Auslaufmodell?
Heime werden wir weiterhin brauchen, auch wenn die Errichtung neuer Alten- und Pflegeheime durch das Land Oberösterreich derzeit nicht geplant ist. Alleine die Betreuung von Pflegebedürftigen in den Pflegestufen 1 bis 3 zu Hause stellt eine erhebliche Herausforderung dar: Es erfordert mehr Personal und Infrastruktur. Ab einem gewissen Grad der Pflegebedürftigkeit kommt die mobile Pflege organisatorisch und finanziell an ihre Grenzen. Ganz abgesehen davon, dass es derzeit oft schon an den baulichen Gegebenheiten in den Wohnungen und Häusern der Betreffenden scheitert; da braucht es auch Lösungen zur Unterstützung Betroffener.
Welche Lösungsansätze gegen den Pflegenotstand sehen Sie?
Es gibt angesichts der demografischen Entwicklung sicher nicht „die“ Lösung, sondern nur eine Vielzahl von Puzzlesteinen. Da zählen Zuzug und Integration ebenso dazu wie die finanzielle Existenzsicherung während der Ausbildung bei jenen, die sich für einen Pflegejob umschulen lassen. Letztlich geht es um eine Priorisierung des Themas, in der Politik, aber auch bei jedem Einzelnen. Gerade uns „Baby-Boomer“-Jahrgängen muss klar sein: Was heute zum Thema Pflege entschieden wird, wird uns selbst treffen, denn „die Alten“, das werden schon bald wir sein.
Das Thema Pflege hat mittlerweile einen hohen Stellenwert in der öffentlichen Diskussion. Das sehe ich als Chance, tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Maßgebliche Fachleute aus Theorie und Praxis arbeiten derzeit intensiv an einem Bündel von Lösungsvorschlägen.
Martin König, MBA ist Geschäftsführer der SoNe Soziales Netzwerk GmbH mit Sitz in Bad Hall, einer Plattform für die Koordination und Umsetzung verschiedenster Themen und Projekte im Sozial- und Gesundheitsbereich. Zuvor war Martin König Leiter des Bezirksseniorenwohnheims Bad Hall und langjähriger Obmann der ARGE Alten- und Pflegeheime OÖ, von der die SoNe 2012 gegründet wurde.